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Europa – nicht ja oder nein

Bei Abstimmungen wie etwa derjenigen über den Brexit könnte oder müsste bei eventueller Stimmengleichheit eine einzige Stimme entscheiden. Das wäre im Grunde jedoch ein Votum für einen Kompromiss, der aber überhaupt nicht vorgesehen zu sein schien. Ein Kompromiss wäre aber in einem solchen Fall praktisch 

gleichbedeutend mit dem mehrfach vorgeschlagenen modernen Mittleren Weg.

Fundamentalismus steckt offensichtlich noch tiefer sowohl in unserer Gesellschaft als auch in uns selbst versteckt, als wir das wahrhaben wollen. Wir werden von klein auf erzogen zu glauben und haben allenfalls die Möglichkeit, uns dafür oder dagegen zu entscheiden.

Die Schwarz-Weiß-Malerei wird uns in die Wiege gelegt. Gegeneinander im Detail abzuwägen lernen wir nicht.

Eine grundlegende Änderung dieses Erziehungs-Systems würde massiv bestehende Pfründe gefährden. Und wessen? Eine ganze Allianz lässt sich anführen, die sich gegenseitig unterstützt und deswegen eine Lösung so schwierig macht. Diejenigen mit der längsten Historie in dieser Hinsicht sind die Popen, gefolgt von den Juristen und schließlich einem Heer von Bürokraten. Drei Schichten von Verantwortlichen haben sich also übereinander gelagert und sind tief in unserer Gesellschaft eingegraben. Gerne würden sie beschönigend sagen, sie seien tief verwurzelt. Doch diese feine Nuance sollte sie nicht freisprechen.


Was tun?

Vergangene Jahrhunderte waren bereits mit nahezu demselben Problem konfrontiert und haben laut nach Säkularisierung gerufen. Das hat zwar an manchen Stellen weiter geholfen, aber immer wieder Rückschläge gebracht. Denn im Grunde blieb oft ein Schwarz-Weiß-Denken erhalten, dass es hier Gläubige und dort Ungläubige gäbe. Nichts dazwischen?

Kant schien diese Ansicht zu untermauern, indem es als gleichermaßen akzeptabel erscheinen ließ, entweder an Gott zu glauben oder nicht. Doch in seiner tatsächlichen Vita ist er ganz klar einen Weg zwischen diesen beiden Extremen gegangen. Er hat sich nur nicht deutlich für einen Kompromiss im jetzigen Sinn für einen modernen Mittleren Weg ausgesprochen. Wäre er dann als unentschieden, als ein Mensch ohne Rückgrat disqualifiziert worden?

Diese Aufgabe muss jetzt angegangen werden, und zwar höchstgradig dringend, weil wir sonst schlimme Konsequenzen zu befürchten haben.

Soll Europa ein fest gefügter Staat werden, oder betreiben andere Gruppen mehr oder weniger zu Recht die Auflösung dieses noch labilen Gebildes? Wieder sollten wir diese Darstellung deutlich als Schwarz-Weiß-Malerei disqualifizieren und ein farbigeres Bild von der möglichen Zukunft malen. Doch wer tut das wirklich? Am ehesten kommen dem vielleicht die Grünen nahe, welche auch Sinn für Regenbogenfarben haben, ohne damit jedoch in verantwortungslose Anarchie abgleiten zu wollen. Die klassischen Positionen konservativ, sozial oder liberal nähren im Grunde alle noch das Kästchen-Denken, die Schwarz-Weiß-Malerei. Aber auch innerhalb der Grünen gibt es bislang noch kein sehr klares Bewusstsein für diese Situation. So können wir uns auf sie gewiss nicht allein verlassen und müssen selber das Suchen einer ausgewogenen Balance unterstützen. Das ist keine Frage eines Parteibeitritts oder auch nur einer wohlwollenden Unterstützung der Grünen, sondern muss genauso andere Bereiche erfassen. Ganz besonders wichtig aber ist dabei unser eigenes privates Leben. Wir reden immer gern davon, was andere Leute tun sollen, doch wissen wir genau, wie ungern sich Menschen von anderen Menschen beeinflussen lassen. Wieder werden sie häufig vermuten, dass sie von einem Kästchen in ein anderes gelockt werden sollen und wehren sich vielleicht zu Recht dagegen. Alles Campaigning beginnt mit dem eigenen Beispiel.

Ob wir es als eine modernen Mittleren Weg bezeichnen oder vielleicht etwas zu banal als Kompromiss, sollte keine große Rolle spielen. Nicht die Diskussion über Wegweiser, sondern der Weg ist wichtig.  

© Copyright and all rights reserved, Hans J. Unsoeld, Berlin 2017/2018

Updated July 07, 2018  

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