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Ein Weg zu moderner Religion

1. Der Ursprung

Der moderne Mensch möchte den Ursprung entmythologisieren. Der erste Schritt ist der Verzicht auf die mit naturwissenschaftlichen Prinzipien unvereinbare Annahme eines Schöpfers. Doch die unvermeidlich folgende Frage, ob es nur ein einziges Kind jenes Ursprungs gegeben hat oder meh­rere, mutet fast mythologisch an.


Alle einfachen Prozesse beginnen mit Teilungen. Dies ist eine wissenschaftliche Grund­erfahrung in vielen Disziplinen, - am deutlichsten sichtbar in der Biologie. Dabei bleibt am schwersten zu ver­stehen, was eigentlich die Teilungen anregt. Die Aufklärung der Zellteilung ist erst in jüngster Zeit erfolgt. Wir tappen völlig im Dunklen, was am Anfang in der Kosmologie gewirkt hat,- nennen es einfach Wir­kung. Aus Eins wurden Zwei, aus diesen Zwei dann Vier und so fort. Wer mögen diese ersten Zwei gewe­sen sein? Raum und Zeit? Oh nein! Denn die Bei­den sind abstrakte virtuelle Kinder, aus denen nicht etwas Reelles wie Materie oder Energie ent­ste­hen konnte. Am Anfang und möglicherweise in der ersten Generation danach gab es also noch nicht Raum und Zeit.


Die einfachste Vorstellung, die wir uns machen können, ist, dass Energie und Materie die Kinder von "Eins" waren, welches wir Urstoff nennen können. Yin und Yang pflegten die Asiaten diese Kinder zu nennen.


Heute wissen wir dank dem schlauen Albert Einstein, dass Energie und Materie in Wechselwirkung treten können, ineinander umwan­delbar sind. Ob Raum und Zeit dann deren Kinder sind,- ganz abstrakte, oder wie man wissenschaftlicher sagt, Felder? Aus Materie und Ener­gie sollten, wenn anfänglich die Entwicklung durch Teilung vor sich ging, vier Kinder entstanden sein. Warum sollten dies nicht Felder sein? Raum und Zeit scheinen die Kinder der Materie sein. Einstein hat festge­stellt, dass Raum und Zeit der Einwirkung der Materie unterliegen, - von ihr regelrecht verbogen werden. Entspre­chend könnten die elektrische Ladung und der Magnetismus,- beide sind Energie­formen, welche sich ebenfalls als Felder mani­festieren,- die Kinder der ursprünglichen Energie sein.


Aber zurück zum Anfang! Think twice! Wenn es immer schon Etwas gegeben hat, dann muss unsere Welt unendlich sein. Also dürfte die Idee von einem einzigen Urknall unsinnig sein. Sorry die Herren Georges Lemâitre und Sir Fred Hoyle! Aber Ihr seid alle zu sehr von christlicher Vor­stel­lung durchtränkt gewesen, - von der biblischen Vorstellung von einer Schöpfung.


Das bringt uns auf die ganz simple, aber höchst hintergründige Frage, auf was wir unser Welt­bild gründen sollen. Auf Religion? Sie scheint jämmerlich gescheitert zu sein,- in Organi­satio­nen erstarrt und von der Idee einer anfänglichen einzigen Schöpfung gefangen. Auf Wissenschaf­ten? Oh, alle die Leute, die am CERN in Genf und ähnlichen Mammutgeldschleu­dern "dem" Urknall nach­jagen,- sind sie nicht auf dem Irrwege, weil es gar nicht nur einen einzigen gegeben hat und weil die Theorien davon ausgehen, dass es schon am Anfang Raum und Zeit gab? Oder etwa ver­wegenerweise mit der Kunst,- was auch immer wir darunter verstehen mögen? Ist die Kunst nicht von der Suche nach dem Schö­nen in bizarre Wege abgeglitten? Diese Gedanken mögen im Augen­blick sehr arrogant klin­gen und nicht wohlbegründet erscheinen. Aber wir werden im Einzelnen darauf zurück­kommen.


Wenn weder Religion noch Wissenschaften noch Kunst uns zum Ziele führen, sind sie dann alle Drei falsch? Kaum anzunehmen! Wo liegt der Fehler?


Wir sagten, dass am Anfang vermutlich alles per Teilung vor sich ging. Aber wenn genau zwei "Dinge" vorhanden sind, sind sie offensichtlich nie stabil, haben eine Tendenz zur Veränderung in sich, die sich eben­falls in eigent­lich allen Disziplinen zeigen lässt, ohne dass wir hier näher darauf eingehen wollen. Anschau­­lich können wir uns klar machen, dass ein Stuhl niemals auf zwei Beinen fest stehen kann. Ob diese Ver­ände­rung nun der Übergang in einen energetisch günstigeren und damit stabileren Zustand sei oder Teilung oder Wechselwirkung, die beispielsweise zu harmoni­schen Schwingun­­gen oder aber auch zu einer ?Metamorphose? führen mag, das bleibt im Moment offen. Doch wir haben im Hin­terkopf: Zwei Dinge miteinander sind nicht stabil, streben nach Veränderung.


Stellen wir uns vor, es seien plötzlich deren drei da. Ein Hocker steht auf drei Beinen völlig fest. Ein Elektron, das nach moderner Erkenntnis aus drei sogenannten Quark-Teilchen gebildet wird, ist auch völlig stabil,- taugt prächtig als Transpor­teur für unseren geliebten elektrischen Strom.


Warum sollten nicht die drei ins Auge gefassten Disziplinen, nämlich Ars, die Kunst, Religio, die Religiösität, und Scien­tiae, die Wissenschaften, zusammen eine feste Basis für ein modernes Weltbild ergeben? Wenn man bei einem Hocker ein Bein entfernt oder nur ungenügend ausbildet, so schwankt er, fällt er um. Ob es auch so ist, wenn wir von den Dreien, von Kunst, Religion und Wissenschaften, auch eines fortlassen oder auch nur ungenügend ausbilden? Wenn wir uns nur auf eine der drei Diszipli­nen stützen, sind wir buchstäblich einseitig. Wenn wir nur zwei von ihnen berücksichtigen, so wird zwangsläufig eine schwankende, von dauernder Auseinandersetzung bestimmte Situation entste­hen. Integrieren wir alle drei Bereiche (latein. ars, religio et scientiae; ähnlich im Englischen), so kom­men wir zu einem neuen universalen Verständnis des Wor­tes ARS, das also nicht nur die Kunst in ihrem bisherigen Sinne, sondern eben alle jene drei Diszi­pli­nen als eine stabile Basis unserer Ein­sicht umfassen soll.


Es soll sich in diesem Sinne ein universales Weltbild ergeben. Dieses soll nicht nur dem Fachmann, sondern jedem Menschen eine Einsicht vermitteln, was eigentlich die sogenannte ganze Welt, also das, was wir Universum nennen, "ist". Damit sei all das gemeint, was wir erfassen können, aber auch, welche Bedeutung für unser Leben das hat, und wo denn die Grenzen unserer Erkenntnismög­lich­keit liegen.


Wichtig erscheint die Frage nach unserem Naturverständnis, das tiefe soziale Implikationen hat. Auch hier suchen wir nach einer breiteren Basis als einfach zum Beispiel Ökologie und/oder Öko­nomie. Um die relative Bedeutung der Zielsetzungen der beiden Bereiche tobt zur Zeit ein lebhafter Streit. Hier gilt ebenso: Zwei "Dinge" sind nicht stabil, neigen zu dauerndem Wechselspiel. Das dritte Bein bilden selbstver­ständ­lich die Bereiche, die sich mit der Zielsetzung der Betroffenen, also mit dem Inneren der Lebewesen selber beschäf­tigen,- der Menschen, aber auch der Tiere und viel­leicht sogar der Pflanzen. Psychologie und Meditation sind gemeint. Es müs­sen sinnvolle Wege gefunden werden, um allen eine Stimme zu geben.


Die Demokratie ist dafür ein guter Anfangsweg. Doch nichts ist perfekt,- sie braucht Ver­bes­serung. Alles deutet darauf hin, dass alternative Wege gefunden werden müssen. Unser Ent­schei­dungsden­ken beruht nur allzu oft auf einer eingeschränkten Wahlmöglichkeit zwischen dem tradi­tio­nellen Zustand und einer sogenannten progressiven Perspektive. Wieder beinhaltet die Exi­stenz von nur zwei "Beinen" zum Beispiel bei politischen Wahlen eine unstabile Situation. Lassen wir als dritte Option alternative Strömungen zu, so ergibt sich die Möglichkeit von Fraktionsbildun­gen, wel­ches eine flexiblere und deshalb wohl langfristig stabilere Form der Entscheidungsfindung ist.


Wir fassen unsere Wunschvorstellungen zusammen: Unser neues Weltbild sollte ein universales Verständnis ermöglichen. Es sollte unser Naturverständnis umfassend integrieren. Und es müssten alternative Optionen immer als zusätzliche Wahl­möglichkeit zugelassen werden. So können die Anfangsbuchstaben dieser drei Begriffe den zweiten Teil UNA unserer neuen Bezeichnung ergeben: ARS UNA.

2. Die Künste


Wenn alle drei "Beine" eines sinnvollen Weges zu einem modernen Weltbild wichtig sind, sollten wir nacheinander einen genaueren Blick auf alle drei werfen. Als erstes schauen wir zu den Kün­sten. Wir wollen uns fragen, was wir überhaupt als Künste akzeptieren wollen. Sicher sind dies nicht nur die sogenannten Schönen Künste.


Schon das Wort besagt, dass Kunst etwas künstlich Geschaffenes, etwas Synthetisches, beinhaltet. Die Analyse steht nicht im Vordergrund. Gleichzeitig sollte dieses Schaffen "gekonnt" sein in dem Sinne, wie wir von einem künstlerischen Werk sprechen. Kunst und können sind im Deutschen mit­einander verwandte Worte. Beides hat ?miteinander zu tun?. Über die Mittel und den praktischen Rahmen ist dabei zunächst gar nichts gesagt. Doch das Wort "Rahmen" spielt schon in der Malerei eine wichtige Rolle. Zur Kunst gehört dazu, dass sie sich entweder abgrenzt, einen Rahmen setzt, oder aber deutlich macht, wo sie Grenzen überschreitet zu Nachbarbereichen.


Kunst ist im Prinzip ein Ausdrucksmittel von allem, was dem schaffenden Menschen zur Verfü­gung steht. Was heißt das? Nun,- der ganze Mensch besteht aus einem Kopf, einem Oberkörper, einem Unterleib sowie Extremitäten, den Armen und Beinen. Diese vier Teile wollen wir sinnbild­lich für den Intellekt, die Gefühlswelt, den Sex- und Machtbereich sowie die Sphäre der Aktivi­täten, also der Arbeit und all der anderen Dinge, die wir im Leben unternehmen, auffassen.


Jeder dieser vier Teile kann sich künstlerisch ausdrücken. Die Angelegenheit ist also viel komple­xer, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Dieser Eindruck tritt heute mehr und mehr in den Vordergrund, dass Kunst etwas sehr Komplexes ist. Noch deutlicher wird dies, wenn wir uns klar machen, dass der Kopf als oberster Teil nicht nur den Intellekt beinhaltet, sondern auch ganz ver­schiedene Formen der Wahrnehmung: das Sehen, das Hören und das oft vergessene Riechen und Schmecken. Dazu kommt noch die Fähigkeit zur Kommunikation durch Sprache. Jedes dieser Teile kann natürlich zur Kunst beitragen oder zu einer wichtigen Basis eines abgegrenzten Bereiches der Kunst werden, - eben je nach dem, wie ein Rahmen gesetzt wird.


Schon damit wird deutlich, dass sowohl das Denken als auch die Wahrnehmung als auch die Kom­munikation eine Basis für Kunst sein können. Was aber hindert uns daran, diese verschiedenen Kunstformen auch miteinander zu kombinieren? Das ist nicht nur einfach eine Erweiterung des Rahmens, sondern lässt ganz neue Dimensionen zu. Ob dies ein Weg in höher zu bewertenden Sphä­ren oder, umgekehrt ausgedrückt, zu tieferer Einsicht ist? Wir las­sen diese Frage im Augen­blick offen, spüren aber wieder, dass auch hier erst alle drei Teile eine stabile Basis ergeben.


Das neue Wort Multimedia kommt uns in diesem Moment in den Sinn. Aber nicht nur die Kombi­nation von Bild und Ton (auch von bewegten Bilder, - im Film), sondern auch der gedankliche Teil (das Hirn) spielt hierbei eine vitale Rolle. Die Künste des Gehirns sind offensichtlich die Literatur in all ihren Ausprägungen, zum Beispiel der Poesie, aber auch das Verfassen von künstlerischen Dreh­büchern oder Theaterstücken.


Wo ist hier der Rahmen zu setzen? Wir sagten, Kunst ist etwas künstlich Geschaffenes. Das ent­spricht unserer Vorstellung von Fiktion. Dokumentarfilme und Sachbücher sind in dieser Hinsicht keine Kunst, sondern dem wissenschaftlichen Bereich zuzuordnen. Doch in welchem Maße in einer gewählten Kunstform entweder das Denken oder die verschiedenen Wahrnehmungsformen oder unterschiedliche Kommunikationswege genutzt werden, steht uns völlig frei. So haben darstellende Künste und Architektur, Literatur und Poesie, Theater und Film bis hin zu Fernsehen und Multimedia alle das Recht, zu den Künsten gezählt zu werden.


Manche Kunstformen, wie zum Beispiel die Poesie, greifen bereits stark in den gefühlsmäßigen Bereich über, den wir in unserer sinnbild­lichen Gliederung dem Oberkörper zuordnen wollen. Wir sagen, das sei eine Herzenssache, und atmen dabei vielleicht sogar unbewusst tief ein. Wir sollten die Zuordnung von Gefühlen zu Orga­nen wie dem Herzen nicht überstrapazieren; denn es ist klar, dass jeder medizinisch aufgeklärte Mensch im Herz zunächst einmal eine geniale Blutpumpe sieht. Aber diese Zuordnung macht uns klar, dass der introvertierte gefühlsmäßige Bereich von dem extrovertierten Bereich des Denkens, der Wahrnehmung und der Kommunikation weitgehend abgetrennt ist. So werden beide auch weitgehend getrennte Ausdrucksformen in der Kunst finden.


Wege zu diesen entwicklungsgeschichtlich älteren inneren Bereichen sind Versenkung, Gebete und insbesondere Meditation, welche alle auf analysierendes Denken, direkte Wahrnehmung mit den Sinnesorganen und sprachliche Kommunikation verzichten. Dieses bedeutet jedoch keinen Total­verzicht auf Denken, Wahrnehmung und Kommunikation. Mitempfinden, Sensibilität und bespiels­weise Gesänge oder Sprechen von Gebetsmantras sind Ausdruck davon.


So fragen wir uns gleich, ob denn der nächste Bereich, die dem Unterleib zugeordnete Sexuali­tät und der Machtbereich, ebenfalls eine eigene Ausprägung in der Kunst finden. Diese Einsicht war gerade im europäischen Bereich sowohl durch die drei großen Religionen als auch durch die herr­schen­den Schichten lange unterdrückt und tabuisiert. Doch heute kann man einerseits über durchaus den sexuellen Bereich tangierende Jungfrauen-Darstellungen und Barockengel und viel weiter­gehende freizügige moderne Darstellungen und andererseits über Kunstformen, welche Macht­ver­hält­nisse ausdrücken, - zum Beispiel die Archi­tektur von Schlössern, Burgen und auch modernen Regierungsbauten, - sicher etwas offener reden. Diese Tendenz durchzieht gleichermaßen alle Kunstformen, also zum Beispiel Literatur, Filmkunst und künstlerische Multimediaproduktionen.


Der vierte Bereich, den wir den Armen und Beinen zugeordnet haben, beinhaltet das künstlerische Handwerk und auch die Lebensführung als Künstler. Alle künstlerischen Arbeitsbereiche haben ihre handwerkliche Basis. Doch das Wichtigste scheint eben die Lebens­füh­rung zu sein, die wirk­lich zu einer eigenen Kunst werden kann. Ein Künstlerleben zu führen, bedeutet sicher nicht feh­lende Disziplin, sondern zeugt viel mehr von beharrlicher Suche nach Einsichten und Ausdrucks­formen, die sich nur bei größtmöglicher Freiheit durchführen lässt.


Kommen wir jetzt darauf zurück, dass unser erklärtes Ziel ist, Einsichten über die ganze Welt und das Leben zu bekommen! In welchem dieser vier Bereiche werden wir diese eher erwarten kön­nen? Sicher wird sich jeder mit der Antwort schwer tun. Es ist auch eine reine Fangfrage, welche nur zeigen soll, dass die Antwort ganz anders zu suchen ist. Nur alle Bereiche zusammen werden uns zu wirklich entscheidenden Einsichten verhelfen. Nur derjenige Künstler, der sich auf das ganze Leben einlässt, was bedeutet, dass er alles, was ihm in seinem Körper zur Verfügung steht, und auch religiöse und wissenschaftliche Einsichten in seine Kunst und damit in sein Erkennen einfließen lässt, wird zu wirklich tiefen umfassenden Erkenntnissen kommen, die unser gesamtes Weltbild deutlicher machen und erweitern.


Die gedankliche Trennung der vier den verschiedenen Körperteilen zugeordneten Bereiche macht uns vor allem klar, dass es entscheidend darauf ankommt, zu einem inneren Gleichgewicht zu fin­den. Es ist nicht so, dass wir einen scheinbar wichtigen Bereich auswählen sollen, sondern es kommt vor allem darauf an, alle unsere Fähigkeiten gleichmäßig auszubilden, - durchaus auch auf die Gefahr hin, dass wir damit gegen etablierte Tabus verstossen oder nicht so gute Spezialisten werden. Haben wir nicht schon einmal von der Suche nach dem Weg der Mitte gehört ?


Jeder Künstler (und damit werden hier immer auch Künstlerinnen gemeint!), der sich nicht nur mit der Wieder­gabe des Aufgenommenen beschäftigt, - der also nicht nur Darstellung des Gesehenen oder etwa Erzeugung von kommerziell verwendbaren Klängen oder entsprechendes betreibt, - wird auf seinen künstlerischen Entdeckungsreisen sowohl in der Innen- wie auch in der Aussenwelt unweigerlich in Bereiche kommen, die immer größer, immer weiter, immer höher, oder auch immer kleiner, immer weiter innen, immer tiefer sind. Er wird die unendliche Weite unseres Universums spüren und sich an irgendeiner Stelle nur noch staunend davor verneigen können. Genau dasselbe wird ihm passie­ren, wenn er immer weiter in die Mikrowelt eindringt, - wenn er merkt, dass in jedem und allem, was er vor sich hat, immer noch etwas Kleineres steckt. Das gilt nicht nur für den darstellenden Künstler, sondern für jeden, der seine Kunst ernst nimmt und, wie man so sagt, über seinen Teller­rand hinausschaut. Auch ein Musiker wird zu genau denselben Erkenntnissen kommen. Er wird spüren, dass jede Musik sich in noch ?höhere? Musik einfügen lässt, und dass in jedem Ton noch immer weiteres ?Innenleben? steckt.


Kein Künstler, der nicht irgendwie dogmatisch gebunden ist, hat auf dieser Suche jemals Grenzen bemerkt. Die Künste gehen auch nicht von einem einzigen Anfangspunkt aus. Bei seiner Suche kann er selber immer wieder einen neuen Anfangspunkt setzen. Irgendwann wird sich eine Kunst­rich­tung vielleicht auflösen und in einer anderen neuen Ausprägung fortsetzen. Er wird das vor­handene verändern und schauen, ob die neue Version besser ausdrückt, was er spürt oder vermit­teln möchte, oder ob aber dieses schlechter als zuvor gelingt. Wer das Leben von Künstlern und ihren schwierigen Pfad zu neuen Wegen kennt, weiß, wieviel Scheitern und vergebliche Versuche vor­kommen, bis an irgendeiner Stelle ein Durchbruch erzielt wird. Und selbst, wenn er diesen Durch­­bruch meint gefunden zu haben, wird er sich schwer damit tun, sich damit bei seinen Kolle­gen und in seiner Umwelt durchzusetzen.


Kommt ein Künstler, der tiefer in diese Bereiche eindringt, nicht fast zwangsläufig zu religiösen Vorstellungen ? Liegt ihm nicht fast unweigerlich das Wort Unendlichkeit auf den Lippen? Wird er sich nicht fast mit Sicherheit fragen, woher denn alles kommt und wo es eines Tages verbleibt?


Die abendländische Kunst ist auf diesem Wege lange von den etablierten Religionen dominiert gewe­sen, vom Judentum, den christlichen Religionen und dem Islam. Die Künstler haben im allge­meinen keine Probleme damit gehabt, die Vorstellungen von Unendlichkeit all dieser drei Religio­nen zu akzeptieren. Doch die Frage nach der Schöpfung dieser Welt und ihrem Untergang blieb ein ziemlich unlösbares Problem für sie, dem man sich nur durch Übernahme der in heili­gen Büchern fixierten Ideologie entziehen konnte. Dass sie selber immer wieder neüe Kunst schaf­fen konnten und dass aber manche Kunstformen auch wieder untergingen oder nur nach star­ker Veränderung weiter­leben konnten, schien ihnen ein völlig separates Problem zu sein, das mit der verbindlichen Glau­bens­welt nichts zu tun hatte.


Dass die Vorstellungen von einer Schöpfung, vor welcher noch nichts war, und von einem apoka­lyp­tischen Ende der Welt, nach welchem nichts mehr ist, dieser Vorstellung von Unendlichkeit wider­sprachen, solche Gedanken waren praktisch verboten.


Das war bei weitem nicht alles, was verboten war. Schon beim Ausdrücken der eigenen Gefühls­welt gab es enge Grenzen. Wir erinnern uns heute zum Beispiel kaum noch, wie schwer der Durch­bruch der Romantik bei uns zustande kam. Viele sahen darin eine Gefahr für gesell­schaft­lich akzeptierte Grundsätze, und vielleicht nicht ganz zu Unrecht. Doch was war falsch,- die Gefühle oder die Grundsätze?


Noch viel schlimmer stand es um alles, was die sexuelle Sphäre berührte. Ja, - Jungfrauen und Engel durften nackt dargestellt werden, aber schon das erregte das Missfallen der Kirchenoberen der etablierten westlichen Religionen, und bald wurden ihnen Feigenblätter verordnet. Diese Ten­den­zen beschränkten sich absolut nicht nur auf die darstellende Kunst. Auch die Musik wurde ver­pönt, wenn sie den "gehobenen" Bereich verließ oder zum Beispiel aus der braven Volksmusik deftige Tanzmusik wurde. Dass sich in Indien Kamasutra und Tantra zu Künsten entwickel­t hatten, erfuhr man in Europa erst viel später. Doch auch Indien verfiel später in Bigotterie, genährt durch die Doppelmoral der viktorianischen Kolonialherrschaft.


Ebenso hatten die Künstler lange große Schwierigkeiten, sich mit ihrer Arbeit durchzusetzen. Im Mittelalter wurden viele Künstler als fahrendes Volk herabgesetzt, und diese schlechte Tradition setzte sich etwa beim Theater bis ins letzte Jahrhundert fort.


Dennoch, - und vielleicht gerade deswegen, - entwickelte sich bei ihnen als Ersten im west­lichen Kulturkreis ein Sinn, ein Gefühl oder wie man es auch nennen möge, dass nur ein ausge­glichener Weg, der Raum für all diese Bereiche lässt, - für Geistiges, für Gefühlsmäßi­ges, für Sexuel­les und für freie Aktivitäten,- dass nur ein solcher Weg uns weiter bringen kann. "Weiter" klingt sehr nach der Außenwelt. Aber damit ist genauso der Weg zu uns selbst,- der Weg nach innen gemeint.


Was aber ist die "Leitlinie", die wesentliche Dimension dieser Suche der Künstler? An allererster Stelle könnten wir hier die Suche nach dem Schönen nennen. Diese Suche scheint gewiss nicht das Einzige zu sein, was einen Künstler voran treibt. Doch sowohl bei der Wahl der Themen seiner Tätigkeit als auch der Wahl der Ausdrucksmittel spielt die Schönheit wohl die größte Rolle. Sie scheint die entscheidende Dimension der Künste zu sein. Und sind nicht auch die Künstler selbst oft besonders schöne Menschen?

3. Religionen


Wie bei den Künsten wollen wir uns als erstes fragen, was eigentlich Religionen sind. Im europäi­schen Bereich und im Nahen Osten werden hierunter etablierte Glaubensgemeinschaften verstan­den. Es handelt sich also um organisierte Gruppen mit in sogenannten heiligen Schriften festgehal­te­nen Glaubensinhalten. Dieses gilt gleichermaßen für das Judentum, das Christentum, den Islam und alle Untergruppierungen, wie zum Beispiel Konfessionsgemeinschaften oder Sekten.


Ursprüng­lich entsprachen die Religionen dem menschlichen Bedürfnis, außer den Leiden des Daseins vor allem auch gedanklich nicht fassbare Bereiche des Lebens zu bewältigen. Führende Persönlichkeiten des Klerus legten die Glaubensinhalte fest, die von einzelnen heraus­ragenden, als Propheten oder ähnlich bezeich­neten Leuten verkündet worden waren.


Diese Priester gewannen dadurch eine besondere Machtposition, die sich im Laufe der Zeit in Orga­ni­sa­tionen, oft Kirchen genannt, verfestigte. In der Folgezeit wurden häufig diese Organisa­tio­nen als Religion bezeich­net, was zu viel Konfusion führte. Man begann deswegen, zwi­schen Religion und Religiosität zu unterscheiden, wobei mit letzterem eben die ursprüngliche Hin­wen­dung zu gedank­lich nicht fassbaren Bereichen des Lebens und die damit verbundene Devotion gemeint sind.


In der Neuzeit wurden alle diese Religionen verstärkter Kritik ausgesetzt. Diese Kritik kam von meh­reren Seiten. Zuerst wurde der Machtmissbrauch insbesondere der katholischen Kirche her­ausgestellt, vor allem während der Kreuzzüge gegen den ebenfalls mit staatlichen Machtinsti­tutio­nen eng verknüpften Islam und während der Inquisition. Noch stärkere Kritik kam mit den neu auf­kommenden Naturwissenschaften. Bekannt sind die Streitfälle um Kopernikus, Galileo Galilei und später um Darwin, wo es in immer neuen verschiedenen Varianten um das jeweilig aktuelle men­schen­zentrierte Weltbild geht. Noch brisanter ist heute die Auseinandersetzung um die Schöpfungs­geschichte, welche nicht nur die zentrale Stellung des Menschen in der Welt behauptet, sondern außerdem noch erklären soll, wie die Welt aus Nichts entstanden ist. Doch nichts und gar nichts deutet darauf hin, dass so etwas möglich ist.


Verstärkt wurde diese Kritik durch das sich immer stärker durchsetzende Gefühl, dass das Leben ein selbstregulierender Prozess ist, der sich nicht durch Religionen regeln lässt. Dieses Gefühl teilen Künstler und Wissenschaftler gemeinsam, was zeigt, dass dies ein sehr starkes Argument gegen ideo­logische Fixierung ist. Ideologische Geisteshaltungen werden im allgemeinen durch die End­silbe -ismus gekennzeichnet. Alle drei großen westlichen Religionen werden aber unter Verzicht auf diese Endsilbe bezeichnet, weil sie nicht als ideologisch fixiert hingestellt werden möchten. Ins­besondere wollen sie sich heutzutage von der ideologischen Fixierung philosophischer Systeme, vor allem des Marxismus, absetzen. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass bei beiden, - bei den etab­lierten Reli­gionen und bei derartigen philosophischen Systemen, - eben genau eine solche Fixie­rung besteht, die auch durch den Hinweis auf angebliche Offenbarung nicht aus der Welt geschafft wer­den kann. In Bezeichnungen wie Katholizismus oder Protestantismus tritt sie auch wieder zutage.


Der ernstere Punkt ist allerdings der Gottesbegriff selbst, der im allgemeinen ein auf die Men­schen zentriertes Weltbild beinhaltet. Die prinzipielle Schwierigkeit ist die Definition des Gottes­be­griffes. Bedeutet der Begriff Gott mehr oder weniger als der Begriff Welt, welcher ja alles umfasst, was es überhaupt gibt? Dieser wird hier als synonym mit dem Begriff Universum verstanden, unab­hän­gig davon, ob wir alles erfassen können. Wenn er weniger als die ganze Welt umfasst, so fehlt dem Gott etwas. Er kann jedoch auch nicht mehr umfassen, als alles, was es gibt. Früher verstand man unter allem, was es gibt, nur den materiellen Teil der Welt. Seit wir aber wissen, dass Materie (Masse) und Energie ineinander umwandel­bar sind, ist diese Unterscheidung hinfällig geworden. Damit ist der Gottesbegriff gleich­wertig mit dem Begriff Welt und folglich überflüssig. Dieser Gedankengang ist natürlich ein rotes Tuch für die etablierten Kirchen.


Der Buddhismus als viertgrößte Religion auf der Erde wird in diesem Sinne eher fälschlich als -ismus bezeichnet. Er vertritt weniger eine ideologische Fixierung, wenn man von durchaus fundamentalistischen Theravada- und Mahayana-Gruppen absieht. Er kommt ohne heilige Schriften und ohne den Gottesbegriff aus. Er wird grundsätzlich als Anleitung zum Erlangen von eigener Einsicht ver­stan­den, betont aber gleichzeitig den gewaltigen Bereich der insbesondere in ihren Randbe­rei­chen unerklärbaren Welt und fordert zu Devotion und eigener Anstrengung auf.


Dabei geht es nicht nur um Einsicht, sondern auch um moralisches Verhalten, ähnlich wie bei den anderen Religionen auch. Doch hier gibt es große Unterschiede. Jede Religion setzt ihre eige­nen Schwerpunkte. So erscheint als einer der Schwerpunkte im Christentum die Aufforderung zur Näch­stenliebe, die auch bei den anderen Religionen kaum Kritik gefunden hat. Fragwürdiger sind schon die sogenannten Gebote, von denen es im Christentum beispielsweise bekanntlich zehn gibt. Der Buddhismus erscheint mit seinen nur fünf ?Sila? vergleichsweise bescheidener. De facto bedeu­tet dies eine größere Toleranz, die sich auch im täglichen Leben in buddhistisch geprägten Ländern deutlich zeigt.


Dies soll nicht heißen, dass es im Buddhismus keine Ansatzpunkte für Kritik gibt. Auch er ist nicht frei von weitgehend fixierten und also ideologischen Glaubensregeln. Hier soll es genügen, auf den Glauben an Wiederge­burt und an Astrologie zu verweisen, welche beide sich nicht ohne weiteres mit modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen vereinigen lassen. Wir werden auf diese Punkte zurückkommen müssen. Eine Folge sind die starke Hierarchisierung der buddhistischen Gesell­schaft und eine ungenügende Beschäftigung mit moderner Wissenschaft. Ferner ist der Buddhismus ebenfalls mit Machtstrukturen verkoppelt, was sich beispielsweise in dem starken Festhalten an religiös fundierten traditionellen Monarchien zeigt.


Die großen Religionen stoßen nicht nur auf Widerstand unter den Wissenschaftlern, sondern genauso unter den Künstlern. Solche Konflikte wurden in allen Epochen bekannt, jedoch weitaus am wenigsten im Buddhismus. Von Leonardo da Vinci und Michelangelo bis in die heutigen Tage hinein gibt es der­artige Berichte in großer Zahl, ohne dass hier im einzelnen darauf eingegangen werden soll.


Was ist nun die wesentliche Forderung an eine moderne Religion? Sie soll nicht im Widerspruch zu anderen Erkenntnisbereichen stehen, also vor allem nicht zu den Künsten im weitesten Sinne und zu den Wissenschaften. Während wir bei den Künsten die Schönheit als die leitende Dimension hervorgehoben haben, ist es in der Religion die Forderung nach Konsistenz. Die Erkenntnisse, die uns die Religion bringen kann, besser gesagt, die Religiosität, müssen konsistent mit denen aus ande­ren Erkenntnisbereichen sein, sollen also nicht in Widerspruch stehen zu ihnen. Wenn Diskre­panzen auftreten, ist zu verlangen, dass überall nachgeschaut wird, wo der Schwach­punkt liegt. Das muss nicht unbedingt an der Religion liegen. Doch bei der traditionellen Neigung der Religionen, sich auf Glaubenssätze zu fixieren, ist bei ihnen die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass sich Fehlannahmen einschleichen.


Für Menschen aus anderen Disziplinen erscheinen drei Punkte im Buddhismus besonders attraktiv: Er kommt ohne den Gottesbegriff aus, er besteht nicht auf Glaubensgrundsätzen, und er leitet zur eigenen Erkenntnissuche an. Darüber hinaus ist seine viel offenere Einstellung zur Erkenntnissuche in Kunst und Wissenschaft bekannt, was im Übereinstimmung mit der größeren Liberalität ist, die sich in weniger moralischen Geboten ausdrückt.


Hier tun sich Konflikte auf zwischen traditionellem Buddhismus und modernen Überzeugun­gen. Denn im traditionellen Buddhismus haben beispielsweise der Glaube an Reinkarnation und an Astro­logie den Charakter von Glaubensgrundsätzen. Beide Vorstellungen stehen zumindest in solch einfacher Form in klarem Widerspruch zu Erkenntnissen moderner Naturwissenschaft. Ohne hier auf Einzelheiten eingehen zu wollen, sei zwar bemerkt, dass eine moderne mathematische Theorie für komplexe Systeme, nämlich die Lehre von den Fraktalen, korrekt sagt, dass bei der Entwicklung eines solchen komplexen Systems über Generationen hinweg nach in der Größenordnung von drei bis sieben Generationen sich wieder ein ähnlicher Zustand wie am Anfang ergibt, ein sogenannter selbstähnlicher Zustand. Dieses ist jedoch eine durch Information, also allenfalls durch Vererbung übertragene Eigenschaft, nicht aber ein körperliches Wiederauftreten in Menschen oder sogar von Menschen selbst ohne Verwandtschaft. Allenfalls könnte dies ein Effekt von Inzucht in kleinen geschlossenen Bevölkerungsgruppen sein.


Ebenso lässt sich die Astrologie in ihrer weit verbreiteten Form als Abhängigkeit von astronomi­schen Konstellationen nicht halten, da die in Frage kommenden Einflüsse einfach zu klein sind. Horoskope beispielsweise können nicht mehr als zwar vielleicht häufig vorkommende, nichts desto weniger aber zufällige Ereignisse benennen. Eine ganz unterschiedliche Frage ist, ob Menschen je nachdem, in welcher Jahreszeit sie geboren sind, sich verschieden entwickeln und verhalten. Doch das ist natürlich ein ganz anderes und nicht von genauen Zeitpunkten abhängiges Problem.


Ebenso hat die buddhistische Religion ähnlich wie andere Religionen ihe Rolle als Zuflucht gegen menschliche Leiden weitgehend eingebüßt. Wer unter etwas leidet, wird um medizinische oder psychologische Beratung nachsuchen, oder falls es sich um ein gesellschaftliches Problem handelt, nach politischer Veränderung streben. Doch genauso wie die Zugehörigkeit zu anderen Gruppen schafft auch die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft eine Identifikation und damit eine Gemeinschaft. Denn auch Einsamkeit kann natürlich Leiden hervorrufen, welches aber nicht ohne weiteres mit medizinischen, psychologischen oder politischen Veränderungen geheilt werden kann.


Wie bei den Künsten können wir auch bei der Religion schauen, wie sie sich zu den verschiedenen menschlichen Bereichen verhält, die wir durch Kopf, Oberkörper, Unterleib und Extremitäten cha­rakterisiert haben. Auch hier schneidet der Buddhismus durch seine größere Offenheit und Libera­lität besser als die übrigen Religionen ab. Er regt zu eigenem Denken an. Er betont die gefühls­mäßige Seite zum Beispiel durch die starke körperliche Unterwerfung, wenn sich Buddhisten vor einer Buddhafigur als Symbol der Erkenntnis, ­nicht jedoch als Gottessymbol, niederwerfen. Er sieht im sexuel­len Bereich viel weniger Sittenwidrigkeiten und wendet sich nur gegen übermäßige Gier. Er durchdringt das aktive tägliche Leben, beispielsweise mit solchen Ermahnungen, stärker als andere Religionen.


Der menschliche Bereich ist natürlich für die Menschen der zentrale Bereich. Das heißt aber nicht, dass der Mensch eine zentrale Stellung in der Welt als Ganzem einnimmt. Die menschlichen Berei­che haben wir besser verstehen gelernt und können uns in ihnen besser als früher behelfen. Doch jen­seits der menschlichen Bereiche stoßen wir schnell an Grenzen, die unzugänglich für den Ver­stand erscheinen. Keiner weiß, was Materie und Energie wirklich sind und woher sie gekom­men sind. Keiner weiß, woher die Naturgesetze und die in Form von Naturkonstanten messbaren Grund­eigen­schaf­ten der Welt kommen, zum Beispiel die heute genau messbare Lichtgeschwindig­keit, welche in geheimnisvoller Weise gleichzeitig das Verhältnis von Masse zu Energie angibt.


Dass wir an prinzipielle Grenzen unserer Erkenntnis kommen, ist naturwissenschaftlich mit der sogenannten Unschärferelation klar gezeigt worden. Es lässt sich nicht alles exakt zueinander in Beziehung setzen. Das heißt aber nicht, dass wir Widersprüche hinnehmen müssen. Betont sei noch einmal die Wichtigkeit der leitenden Dimension, an welcher sich Religion ?misst?, näm­lich der Kon­sistenz. Dieser Begriff ist vergleichsweise wenig in unserem täglichen Sprach­gebrauch ver­ankert, - möglicherweise deswegen, weil er den abendländischen Kirchenoberen nicht gefallen hat. Denn in deren Weltbild hat sich in vergangener Zeit manch ein fataler Widerspruch einge­schlichen, und noch heute sind diese nicht alle beseitigt. Im Prinzip muss Religion frei von ideo­logischer Fixierung sein, wodurch sie jeglichen politischen Machtanspruch verliert.

4. Wissenschaften


Die Wissenschaften sind genauso wie die Künste und die Religionen ein menschliches Produkt. Während bei den Künsten die Synthese im Vordergrund steht und während die Religion eine Brücke zwischen Synthese und Analyse zu schaffen versucht, stehen bei den Wissenschaften analytische Gedanken im Vordergrund.


Der entscheidende Prüfstein ist die Kombination von Theorie und Experiment. Die Gedanken lei­ten sich von Beobachtungen her. Auf diese Art hat man sehr wesentliche neue Feststellungen gemacht. Die Bewertung scheint auf den ersten Blick immer subjektiv zu sein. Doch ist sie das wirklich ?


Eine der wichtigsten Entdeckungen der modernen Wissenschaft scheint die Feststellung zu sein, dass Masse in Energie und genauso Energie in Masse umwandelbar sind. Bei dieser Umwandlung geht nichts verloren und kommt nichts hinzu. Die Summe von Masse und Energie bleibt immer gleich groß. Dieses scheint der grundlegendste Erhaltungssatz der modernen Physik zu sein. Es ist nie beob­achtet worden, dass auch nur ein winziges Teilchen aus dem Nichts entstanden ist, sondern immer ist dazu Energie notwendig gewesen. Genauso ist nie Energie aus dem Nichts entstanden, sondern immer ist dafür Materie (Masse) nötig.


Genauso wie Materie und Energie nicht aus dem Nichts erzeugt werden, verschwinden sie auch nicht im Nichts. Sie können nur ineinander umgewandelt werden können. Es gibt zwar ein weites Spektrum von verschiedenen Masseteilchen und genauso ein weites Spektrum von verschiedenen Energieformen. Doch die Summe aller Masse und Energien scheint in der Welt eine Konstante zu sein. Das heißt aber, dass die Welt keinen Anfang und kein Ende hat. Wir können weder von einer Schöpfung noch von einem Apokalypse-artigen Ende der Welt sprechen.


Alles Übrige, was es außer Masse und Energie in der Welt gibt, läßt sich aus Masse oder Energie herleiten bzw. darauf reduzieren. An erster Stelle sind hier die sogenannten Feldgrößen zu nennen, zum Beispiel die elektrische Ladung und der Magnetismus, also mit einfachen Worten der elektri­sche Strom und Strahlungen, - im Prinzip aber ebenso Raum und Zeit.


Doch was ist die Welt ? Ist sie ein Ganzes oder besteht sie aus Teilen, die durchaus entstehen und verschwinden können? Letzteres ist sicher der Fall, aber nur durch Umwandlung. Wir wissen heute, dass es im Universum viele Galaxien gibt, die entstehen und vergehen. In den Galaxien gibt es Stern­systeme, die ebenfalls entstehen und verschwinden können. Innerhalb der Sternsysteme gibt es Planeten, auf diesen Kontinente, Länder, Orte, Lebewesen, die alle entstehen und wieder vergehen. Innerhalb von den Lebewesen gibt es eine atomare Welt, in der Atome entstehen und vergehen können, innerhalb der Atome gibt es Ele­mentarteilchen, die denselben Regeln unterliegen, und wer kann hier ein Ende absehen ?


Beim heute viel diskutierten Big Bang, dem Urknall, soll es sich um die Entstehung des gesamten Universums handeln. Aus Energie wird Masse in einem gewaltigen Ausmaß. Aber auch im Kleinen können wir entsprechendes beobachten. Hochenergetische Strahlen führen zur Erzeugung von Elementarteilchen, zum Beispiel bei der Erzeugung eines Elektron-Positron-Paares. Das Positron, im Prinzip ein positiv geladenes Elektron, zerfällt bald danach und wird wieder zu Energie. Hier wird also genauso Energie zu Masse. Ist das nicht ein ?Mini-Big-Bang?? Das Problem ist noch ungelöst und zur Zeit auf die höchst aufwendige Suche der daran beteiligten Neutrinos veschoben. Nur verschoben?


Woher jedoch Masse und Energie kommen und was die zwischen ihnen bestehenden ?Spielregeln?, also die Naturgesetze hervorgerufen hat, da stehen wir wie eh und je vor einem großen Rätsel. Hier können wir nur in Ehrfurcht vor dem Gewaltigen, welches die ganze Welt ist, in Andacht verharren und als Ausdruck dieses Gefühls niederknien, wie es im Buddhismus gemacht wird. Doch dieses Verneigen oder sogar Unterwerfung bedeuten nicht, in Untätigkeit gefangen zu bleiben. Die Aufforderung dieser Religion ist es, weiter auf dem Weg der Einsicht zu gehen, ohne dass wir notwendigerweise, wie häufig in Asien, von Erleuchtung sprechen müssen. Mit einigem Stolz, jedoch in Bescheidenheit kann gesagt werden, dass die Menschen auf diese Weise wirklich einiges hinzugelernt haben.


Dieses Neue wiederum sollte auch in die Religion integriert werden und so, wie zu hoffen ist, segens­reiche Auswirkungen für das Zusammenleben der Menschen haben. Diejenige Religion, die dafür am offensten erscheint, ist der Buddhismus, der konsequent auf einen Gottesbegriff verzichtet und, von den fundamentalistischen Gruppen abgesehen, weitgehend ohne ideologische Fixierung auskommt.


Religion als ein weites Feld zwischen Kunst und Wissenschaft ist das Bindeglied von beiden zu unserem Leben. Sie ermöglicht uns ein Leben zwischen Ernst und Freude, zwischen Verantwortung und Freiheit, und zwischen Werden und Vergehen, welches wir als Geburt und Tod verstehen. Die Wissenschaften verhelfen uns, die Welt in unserem näheren Umfeld analytisch zu beschreiben und dadurch zu gestalten, vor allem durch die moderne Technik. Die Künste verhelfen uns dazu, uns syn­thetisch gestaltend auszudrücken und dadurch unser Umfeld zu verändern. Unsere Aufgaben, unsere Möglichkeiten und Grenzen aufzuzeigen ist die Sache der Religion. Die Aufgaben erfordern Einsatz und Hingabe. Die Möglichkeiten erlauben uns, unser Leben so voll wie möglich auszule­ben. Das Erkennen der Grenzen braucht Bescheidenheit und Devotion.


Viele Menschen meinen, die Wissenschaften seien nur für Fachleute verständlich und vermeiden deswegen eine Beschäftigung mit solchen Fragen. Tatsächlich ist es auch so, das weite Teile der Wissenschaften eines Hochschulstudiums bedürfen. Doch wir müssen unterscheiden zwischen grundsätzlichen Fragen und eher technischen Anwendungen. Die grundsätzlichen Ideen, - so ist es mehr und mehr die Meinung von Leuten, die wirklich zu tieferen Einsichten gekommen sind, - sind im Prinzip einfach und müssen sich auch einfach darstellen lassen. Einfachkeit scheint also im Grunde das entscheidende Kriterium innerhalb der Wissenschaften zu sein, so wie wir Schönheit bei den Künsten und Konsistenz bei den Religionen nannten. Eine noch längst nicht erfüllte Aufgabe der Wissenschaften liegt darin, solche einfache Darstellungen zu liefern. Bisweilen gibt es diese auch schon in irgendeiner Sprache, aber die Übersetzung in die gerade verlangte Sprache fehlt noch. Hier besteht also noch ein weites Aufgabenfeld, auch bei der Schaffung von neuen Bildungs­einrichtungen.


So gesehen sollen die Wissenschaften nicht schwieriger als eine künstlerische Tätigkeit sein. Umge­kehrt wird die Beschäftigung mit Religiosität von vielen für sehr einfach gehalten. Doch auch diese Einstellung bedarf einer Revision. Wie viele Menschen sind Mitglied einer religiösen Gemein­schaft, obwohl sie im Grunde deren Überzeugung gar nicht teilen ! Dahinter mag ein Verharren in überkommenen Traditionen oder Opportunismus oder sonst etwas stecken. Aber bei einer ausgewo­ge­neren Beschäftigung mit den anderen Gebieten, die uns auch zu tieferen Einsichten führen, wäre das sicher nicht der Fall.


Inzwischen werden diese vor allem statischen Traditionen deutlicher als Fundamentalismus bezeichnet, was sofort den Übergang zu dynamischen Vorstellungen als wichtig erscheinen lässt und eine neue erweiterte und gleichzeitig aber auch vereinfachte Philosophie auf den Plan ruft.

5. Das Universum


Was bedeutet Universum ? Als stabile Basis für unsere Erkenntnis sollten immer drei Pfeiler not­wendig sein. Beim Universum, das alles umfasst, was es gibt, scheint es aber drei ganz verschieden­artige Möglichkeiten zu geben, sich drei Pfeiler als Basis der Erkenntnis auszusuchen. Die Mikro­welt der Elementarteilchen, der menschliche Bereich und das Weltall. Oder die Innenwelt des Men­schen, das tägliche Leben und seine Außenwelt ? Oder unsere Vergangenheit, unser momentanes Erleben und unsere Zukunft ? Sind diese drei Möglichkeiten, für sich genommen, auch drei Pfeiler der Erkenntnis ? Nehmen wir es spielerisch !


Allen drei Einteilungen ist gemeinsam, dass sie sich an Raum und Zeit orientieren. Sie orientieren sich also, um es etwas abstrakt in der Sprache der modernen Naturwissenschaften auszudrücken, an Feldern, die kein Eigenleben führen, sondern von etwas Anderem erzeugt worden sind bzw. erzeugt werden. Das, was sie erzeugt, sind, wie bereits gesagt wurde, Materie und Energie. Diese sind also das eigentlich Universelle. Doch was könnte das Dritte sein, damit aus dieser Sicht eine stabile Basis entsteht ? Hier tappen wir noch völlig im Dunklen. Was bringt Masse und Energie dazu, miteinan­der zu reagieren, - in Wechselwirkung zu treten, wie die Naturwissenschaftler sagen ?


Die Mehrzahl der Forscher verweist hier auf die verschiedenartigen Kräfte, die es gibt, und welche sich nach neuen Theorien aus einer Zahl von Naturkonstanten herleiten lassen. Umgekehrt kann man auch die Kräfte vorgeben und daraus die Naturkonstanten herleiten. Dieses alles scheint fast wie ein Spiel, das aber die Existenz von Raum und Zeit vorausetzt. Dieses wiederum ist absolut keine Selbstverständlichkeit, sondern eine sehr fragwürdige Angelegennheit. Die Folge solch frag­würdi­ger Annahmen dürfte sein, dass sich die ersten wichtigen Phasen der Entstehung beispiels­weise einer Galaxie laut den aktuell diskutierten Theorien in winzigen Bruchteilen einer Sekunde abgespielt haben sollen, was zumindest dem naiven Menschenverstand, aber auch angesichts der Menge der involvierten Masse und Energie sowie der gewaltigen räumlichen Dimensionen äußerst unglaubwürdig erscheint. Vielleicht erscheinen die Fehler nur deswegen tolerierbar, weil sich Raum und Zeit gemeinsam mit der jeweiligen Galaxie ?entwickelt? haben.


Viel glaubwürdiger wäre es, Raum und Zeit als in jenem Moment erst in der Entstehung begriffen aufzufassen. Damit wird es aber zu einer viel wichtigeren Frage, was denn nun das Dritte ist, was Masse und Energie miteinander verbindet, so dass sie sich ineinander umwandeln können und aus der Wechselwirkung etwas Weiteres mit neuen Eigenschaften entsteht. Stehen jetzt schon wieder alle Dogmatiker in den Startlöchern und rufen nach einem Gott ? Nein, - damit läßt sich das Pro­blem nicht lösen. Denn die Lösung muss eine spezifische sein, während der Gottesbegriff ein alles umfassender Begriff ist, der beispielsweise Materie und Energie mit einschließt.


Im Prinzip wäre auch denkbar, dass das Universum nur aus zwei ?Zutaten? besteht und eben deswe­gen nicht stabil ist, sondern sich laufend weiterentwickelt. Doch auch dann bleibt die Frage nach demjenigen, was Materie und Energie dazu bringt, getrennt aufzutreten und miteinander in Wech­sel­wirkung zu treten, ungelöst. Hier stehen wir einfach vor unfassbaren Rätseln und können uns nur staunend vor alledem verneigen. Wie diese Devotion im tatsächlichen Leben ausschaut, das ist selbst­verständlich stark von der jeweiligen Kultur gebunden.


An dieser Stelle muss ich als Autor ganz subjektiv für mich selbst sprechen, eben in der sonst ver­pön­ten Ich-Form, und sagen, dass mich bei all dem, was ich in der Welt kennengelernt habe, der in Thailand praktizierte Buddhismus am meisten anspricht. Damit meine ich nicht seine historische Dimension als Theravada, sondern ganz direkt die Form, wie dort der Buddhismus praktiziert wird. In einem Tempel verneigen sich die Men­schen dreimal mit zu einem Wai zusammengelegten Hän­den. Je höher die Hände gehalten werden, umso tiefer ist die Verbeugung und die so ausgedrückte Unterwerfung. Diese Unter­werfung ist jedoch keine Unterwerfung unter eine Gottheit, als welche Buddha nicht verstanden wird, sondern eine Unterwerfung unter eine uns auf andere Art unzugäng­liche Einsicht, nach der wir aber immer weiter suchen sollen. Noch tiefere Devotion wird mit dem Kraab ausge­drückt, bei welchem man sich bei dem Wai hinkniet und dreimal mit vor sich gelegten Händen so tief verneigt, dass die Stirn den Boden berühren kann.


Für den mir nahezu unbekannten Hinduismus oder Shintoismus kann ich hier nicht sprechen. Doch scheint mir der thailändische Buddhismus in ganz besonders starkem Maße mit dem täglichen Leben verbunden zu sein. In jeder gläubigen Familie finden sich geschmückte Plätze mit einer Buddhafigur, und vor allen wichtigen Angelegenheiten werden auch hier der Wai und möglicher­weise ebenfalls der Kraab praktiziert. Das geht bis in den intimen Bereich, wenn Mann und Frau sich miteinander vereinigen.


Die in Thailand praktizierte Form des Buddhismus haftet besonders streng an der direkten Über­lie­ferung von Buddha, während die zum Beispiel in Sri Lanka vorherrschende Form des Buddhismus, Mahayana, in weitaus stärkerem Maße zur Anpassung an neue Gegebenheiten bereit ist. Gerade letzteres aber scheint durch die rasante Entwicklung insbesondere der Naturwissenschaf­ten und die dadurch gewonnenen neuen und naturphilosphisch wichtig erscheinenden Einsichten wünschens­wert zu sein.


Das führt uns zu der Überzeugung, dass ein moderner Buddhismus nicht nur die neuen Vorstellun­gen vom Universum integrieren soll, sondern selbst auch universal sein müsste in dem Sinne, dass er für alle Menschen gleichermaßen zugänglich ist und nicht nur für einen bestimmten Kulturkreis, wie zum Beispiel in einzelnen Ländern Südostasiens. Dieses Anliegen lässt sich sicher nicht schnell verwirklichen, erfordert es doch ein subtiles Eingehen auf die Bedingungen der von diesen Verän­de­rungen betroffenen Länder. Denn dort dient der Buddhismus nicht nur der Hinführung zu tieferen Einsichten, sondern hat sich beispielsweise als wichtigem Ziel der Erlösung von menschlichen Lei­den verschrieben. Diese sind zu einem großen Teil aber die Leiden einer armen und an Bildungs­einrichtun­gen mangeln­den Bevölkerung, was dringend geändert werden müsste. Außerdem hat er eine starke integrative Bedeutung zur Identifikationsbil­dung der Menschen in einer bestimmten Gegend. Kurzum, er ist stark kulturgebunden.


Von allen Ländern Südostasiens hat sich Thailand am unabhängigsten entwickelt, weil es nie dem Kolonialismus anheim gefallen ist. Thai bedeutet ?frei?. Dort hat sich aber auch die konservativste Form des Buddhis­mus gehalten. Momentan wird dieses Land von einer schweren Krise geschüttelt, die durchaus mit diesen Fragen zu tun haben mag. Eine kleine Elite hat in der Hauptstadt Bangkok für einen gewal­tigen wirtschaftlichen Aufschwung gesorgt, während das übrige Land mehr oder weniger im frühe­ren Zustand verharrt. Diese Elite ist gewiss nicht im buddhistischen Sinne streng­gläubig, praktiziert also nicht im selben Maße wie die ärmere, eher ländliche Bevölkerung den traditionellen Theravada, die streng an Buddhas Lehre orientierte Form des Buddhismus. Jedoch versteht sich diese Elite auch weiterhin als buddhi­stisch, ohne dass die Konsequenzen der Verände­rung klar konzipiert würden. Die zahlen­mäßig weit über­wiegende übrige Bevölkerung lebt dagegen noch nach den Regeln des Theravada und hält daran fest.


Dies schafft ein fast unlösbares politisches Problem, weil man zunehmend demokratische Spiel­regeln einführen möchte. Damit muss aber eine Fixierung des Status Quo in Kauf genommen werden, da der religiös konservative, aber sich selbst trotz seiner Rückständigkeit als politisch pro­gressiv verste­hende arme Bevölkerungsanteil weitaus die zahlenmäßige Mehrheit hat. Die Elite hat sich dem durch einen Putsch entzogen, was zur Folge hatte, dass bei den einfachen Menschen das Wort ?Elite? (amataya) zu einem Schimpf­wort geworden ist. Wir werden auf Lösungsvorschläge für diese Situation im Kapitel über alternative Tendenzen in einem modernen Buddhismus zurück­kommen.


Über diesen aktuellen Gedanken ist fast in den Hintergrund getreten, dass das Universum sich aber, wie schon am Anfang dieses Kapitels gesagt, auch ganz anders konzipieren lässt. Besteht es nicht vielmehr aus unseren Innenleben, dem täglichen Leben und der Außenwelt ? Auch so erhalten wir drei Pfeiler, auf welche wir unser ureigenes Weltbild stellen können. Das wird allen denjenigen Menschen, welchen Elementarteilchen und Galaxien eher fernab liegen, sicher mehr gefallen. Ein nicht kleiner Teil der Menschen, die sich tiefer für das Leben interessieren, scheint doch davon überzeugt zu sein, dass der eigentlich wichtige Teil des Universums in uns selbst liegt und dass unsere wesentlichste Aufgabe darin besteht, uns selber kennenzulernen. Die Außenwelt spiegelt sich demnach an unse­rem täglichen Leben, und unser Innenleben ist im wesentlichen ein Spiegelbild jener Außenwelt.


Aber obwohl es eine Projektion ist, wird es als das eigentlich Wichtige genommen. Ob dies wieder eine kulturgebundene Erscheinung ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall gibt es wohl kaum logische Argumente, warum diese oder jene Art, den Begriff Universum zu verstehen, besser sei. Wir müs­sen ?wohl oder übel? beide als gleichwertig ansehen. Das gibt aber all denen Raum, die die große Bedeutung von Meditationen hervorheben. Meditationen sind eben DAS Mittel, um unser Innen­leben zu erforschen, oder mit anderen Worten, um hier zu tieferen Einsichten zu kommen und diese Art von Universum ausloten.


Schließlich gibt es viele Menschen, die unsere Welt in ihrer zeitlichen Abhängigkeit erfassen wollen. Wir können uns selber nur verstehen, wenn wir unsere Vergangenheit kennen, heißt es. In unserem momentanen Erleben können wir daraus Schlüsse ziehen, wie wir die Zukunft angehen wollen. Analog, wie in Bezug auf unser Innenleben gesagt wurde, wird angenommen, dass sich durch das Spiegeln unserer Vergangenheit an unserem momentanen Erleben ein Blick auf die Zukunft werfen lässt. Doch das mag schwieriger als im vorherigen Fall sein. Dafür haben die Mathematiker und Physiker eine geheimnisvolle Erklärung. Sie sagen, die Zeit lasse sich nur als imaginäre Größe beschreiben, wodurch reale Bezüge stark eingeschränkt seien.


Können wir aus unserer Geschichte für die Zukunft lernen, heißt die wichtige Frage, die gerade in Zeiten schrecklicher Kriege und millionenfachen Todes bis hin zu unvorstellbarem Genozid eine immense Bedeutung bekommen hat. Oder müssen wir den Untergang von Völkern genauso wie den individuellen Tod einzelner Menschen als naturgegeben hinnehmen ? Auch diese Fragen berühren sehr schnell religiöse Bereiche, auf die es keine einfachen logischen Antworten gibt.


Die Jugend geht auffälligerweise oft genau den umgekehrten Weg. Sie wendet sich einer imaginären Zukunft zu, die sie in ihrem momentanen Erleben spiegelt und aus welcher sie dann Schlüsse auf das zu ziehen versucht, was sich früher abgespielt hat, ohne sich viel in direkter Form für die geschicht­liche Vergangenheit zu interessieren. Science Fiction ist die wichtigste Form dieser Ten­den­zen. Sie fördert in ungemeiner Form die Fantasie und hat damit gewiss auch einen großen Wert. Doch gilt hier ebenso die Bemerkung über den imaginären Charakter der Zeit.


Man könnte auf den Gedanken kommen, die Zeit einfach als etwas Reales anzusehen. Dann würde der Raum imaginären Charakter bekommen. Ein raumbezogenes und ein zeitbezogenes Universum sind also vermutlich gleichwertige Vorstellungen. Das gilt damit für alle drei Konzepte von Univer­salität. Auf jeden Fall müssen die Universalität und genauso der Begriff des Universums, wie auch immer er verstanden sei, ein wichtiges Element in einer modernen Religiosität sein. Ob sich die führenden Vertreter des Buddhismus darauf einlassen werden ? Denn völlig frei von Richtungs­auseinandersetzungen ist auch er bis heute nicht.


Wieder wollen wir unsere Sache spielerisch leicht angehen und uns im Moment damit begnügen, mit der doppelten Deutung durch die wichtigen Begriffe Universum und Universalität dem ersten Buchstaben des zweiten Wortes unserer Bezeichnung ARS UNA, nämlich dem U, einen Sinn unterlegt zu haben.

6. Natürlichkeit


Der Buddhismus zeichnet sich dadurch aus, dass er in fast genialer Weise zwischen einem lockeren leichten Leben und Verantwortlichkeit den Weg der Mitte sucht. Locker und leicht heißt nicht lie­der­lich. Verantwortlich heißt auch nicht, dass alles einer strengen Kontrolle durch Andere unterwor­fen wird. Der Weg der Mitte ist ganz einfach ein natürlicher normaler Weg, wobei wir uns aber der unklaren Bedeutung des Wortes ?normal? bewusst sein wollen. Die Worte Natürlichkeit und Normalität sollen dem zweiten Buchstaben des Wortes UNA hier einen guten Sinn geben.


Nicht alles, an das wir uns in der aktuellen Situation gewöhnt haben, muss deswegen aber normal sein. Dieses Wort ist mit Vorsicht zu genießen. Wenn beispielsweise eine Auseinandersetzung zwi­schen zwei verschiedenen Positionen läuft, so ist das dauernde, meist nicht sehr freundliche Hin und Her zwischen beiden sicher nicht normal. In einer solchen Lage befinden wir uns aber bei dem momen­tanen Disput zwischen Ökonomie und Ökologie. Beide sind für unser Leben notwendig, doch ohne ein Drittes werden wir zu keinem Ausgleich kommen.


Was die Menschen wirklich brauchen, ist ein erfülltes natürliches Leben voller Freude und in Gemeinschaft mit Anderen, ohne dass eine Person einer Anderen einen Schaden zufügt, und ohne dass eine Gruppe von Menschen einer anderen Gruppe etwas Schlechtes antut. Ein solches Leben zu ermöglichen scheint der Buddhismus eher in der Lage zu sein, als andere Religionen oder Organisationen.


Auf den ersten Blick sieht dies wie eine gewagte Behauptung aus. Doch sie lässt sich leicht unter­mauern. Zu einem erfüllten glücklichen Leben gehört in erster Linie Partnerschaft. Partnerschaft im Großen kann aber nur aus Partnerschaft im privaten Leben erwachsen. Für private Partnerschaft spielen aber nicht nur geistige und gefühlsmäßige Beziehungen eine wichtige Rolle, sondern ein entscheidender Faktor ist im allgemeinen außerdem die sexuelle Liebe. Hier hat sich aber Entschei­dendes verändert. Durch medizinische Entwicklungen muss dieser Bereich heute bei weitem nicht mehr einer solch starken Kontrolle wie in früheren Zeiten unterworfen werden.


Hier sind sowohl die neuen Möglichkeiten gemeint, mit denen man das Eintreten von Schwanger­schaft verhindern kann, so dass nicht jede Frau, die sie auf eine Beziehung einlässt, gleich fürchten muss, schwanger zu werden. Genauso sind damit aber auch die vielen neuen Methoden gemeint, mit denen man das Ausbreiten von Infektionen verhindern kann (Geschlechtskrankheiten, Hepatitis, AIDS etc.). Die einzigen, die durch strenge Kontrollen geschützt werden müssen, sind die Kinder. Eine solche Ansicht setzt sich inzwischen auch in Asien durch.


Diese medizinischen und hygienischen Möglichkeiten eröffnen viele neue Freiheiten. Im privaten Bereich nimmt es den starken Druck, beim Eingehen in eine neue Beziehung gleich heiraten zu müssen. Denn das Leben ist heute so viel komplexer als früher geworden, dass dabei auch viel mehr Faktoren als früher berücksichtigt werden müssen. Heiraten ist sicher wünschenswert, wenn Kinder in die Welt gesetzt werden. Denn diese brauchen Stabilität. Doch ob eine Heirat auch für die Partner selber gut ist, bleibt oft sehr viel zweifelhafter und ist meist am Anfang einer Beziehung noch gar nicht klar.


Im öffentlichen Bereich hat die Frage der Geburtenbeschränkung zentrale Bedeutung. Durch den medizinischen Fortschritt, den wir zu Recht auf der einen Seite preisen, entsteht aber andererseits auch das wachsende Problem einer immer weiter zunehmenden Bevölkerung. Diese nimmt schon jetzt viel zu stark zu, als dass sowohl Ökonomie als auch Ökologie dies verkraften könnten. Auch deswegen ist es von größter Wichtigkeit, die Geburtenzahlen niedrig zu halten. Was im privaten Bereich gilt, ist also im öffentlichen Bereich genauso bedeutsam, nämlich die neuen Methoden der Geburtenbe­schrän­kung voll auszuschöpfen.


Hier scheint der östliche Buddhismus viel mehr als die etablierten westlichen Religionen und auch als staatliche Institutionen willens und in der Lage zu sein, eine sinnvolle Rolle einzunehmen. Wäh­rend insbesondere die katholische Kirche und der Islam sich den meisten Versuchen, eine effektive Geburtenbeschränkung durchzusetzen, beharrlich widerstreben, ist der auf den ersten Blick so stark in Traditionen verharrende Buddhismus durchaus bereit, sich auch hier für einen mittleren Weg einzusetzen, der im Grunde auch dieser Tradition entspricht. Dieser mittlere Weg läuft eben in diesem Bereich zwischen Toleranz und Verantwortungsgefühl, welche beide alte und geschätzte buddhistische Werte sind.


Unverantwortlich scheint die Politik vieler Regierungschefs zu sein, die Geburtenrate zur Stützung der nationalen Macht und aus wirtschaftlichen Gründen steigern zu wollen. Die westlichen Religio­nen schweigen hierzu, und die Bevölkerung erkennt so nicht die Brisanz dieses Themas. Dagegen werden inzwischen zum Beispiel in Thailand Präservative an der Kasse der meisten Supermärkte angeboten. Es bedarf so keiner meist doch nicht sehr erfolgreicher Plakataktionen von einzelnen zwar lobenswerten, aber oft wenig effektiven Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO's).


Doch wie steht es um die Auseinandersetzung zwischen Ökonomie und Ökologie ? Diese wird sicher an Schärfe verlieren, wenn die Menschen ihr Leben voll ausschöpfen können. Auch hier ist genauso eine Balance zwischen Toleranz und Verantwortungsgefühl notwendig, und auch hier kann der Buddhismus sicher eher eine ausgleichende Rolle spielen, als die westlichen Religionen oder NGO's. Sowohl die Ökonomie als auch die Ökologie haben selbstverständlich eine große Bedeu­tung, und die Eine kann nicht ohne die Andere leben. Sie sollten nicht einander bekämpfen, sondern einander fördern. Das heißt aber auch hier, dass keine von beiden dem anderen Teil scha­den darf, sondern dass beide sich für einander verantwortlich fühlen und einander tolerieren sollten, wo es immer möglich ist. Auch hier ist schlicht und einfach der Weg der Mitte gefragt, der eben ein sehr ausgeprägtes Charakteristikum des Buddhismus ist.

7. Alternativen


Wenn zwei sich streiten, so suche nach einem dritten Weg. Dieser dritte Weg wird in der Politik oft als alternative Lösung bezeichnet. Die Vertreter von zwei etablierten und sich in den Haaren liegenden Gruppierungen versuchen häufig in voller Eintracht, diesen dritten Weg zu dis­kre­ditie­ren, weil sie nur an ihre eigene Macht denken und einen Verlust derselben befürchten. So werden die Alternativen verächtlich gemacht und am Emporkommen gehindert. Das Bewusstsein, dass ein solcher dritter Weg der Weg der Mitte sein könne, der vielleicht außerdem etwas Neues dazu bringt, wird völlig verdrängt.


Üble Methoden sind dabei nicht selten, den Alternativen den Zugang zu den Medien mit faden­schei­nigen Argumenten zu verwehren. Das wird ihnen bisweilen dadurch erleichtert, dass auch die angeblichen Vertreter des Weges der Mitte in Wirklichkeit dem einen oder dem anderen Lager zuneigen, also zum Beispiel entweder vor allem Traditionen hochhalten oder andererseits einem unkritischen Fortschrittsglauben verfallen, so dass auch dadurch die Entwicklung von Alter­nativen erschwert wird.


Was ist das beste Mittel dagegen, wird man sich fragen. Die Antwort ist im Grunde eine uralte und immer wieder dieselbe, die auch dem Buddhismus zugrunde liegt, nämlich Meditation. Sie ist der einfache und geniale Weg, sich von fremden Einflüssen freizumachen und seinem eigenen Wesen zu folgen. Das Wesentliche dabei dürfte sein, dass das eigene Wesen, dem man dabei folgt, nicht einfach ein geistiges oder ein gefühlsmäßiges ist. Es entspricht auch nicht einfach den Bedürfnissen von Sex und Macht und ebenso wenig ausschließlich dem, wie man sich mit seinen eigenen Aktivi­tätten verwirklichen möchte in der Arbeit oder sonstigen Unternehmungen. Auch hier gilt, dass unser komplexes Wesen all diese Bereiche enthält. So werden alle ein wenig in die Meditation einfließen.


Nach moderner Vorstellung ist die Meditation nicht ein mehr oder weniger vage empfundener see­lischer Vor­gang, sondern etwas sehr viel Realeres, in das aber durchaus auch imaginäre Bereiche einfließen. So bekommt der Begriff des Seelischen auch viel klarere Eigenschaften, was durch die moderne Psy­chologie gestützt wird. In die Meditation bringt sich der ganze Mensch ein mit all sei­nen Bereichen und Möglichkeiten, die aber oft im Unbewussten schlummern. In diesem Sinne ist die Meditation ein Aufwecken, das gleichzeitig Klarheit und neue Perspektiven zum Vorschein bringt.


Meditation fördert aber auch das Bewusstsein, dass wir nur Teil von etwas viel Größerem sind, das wir niemals vollständig werden verstehen können. Ebenso befinden sich in uns selbst soviel klei­nere Bereiche, dass sie genauso unzugänglich bleiben. Wir sind also nur ein winzi­ger Teil dessen, was wir Universum nennen. Aber umgekehrt brauchen wir deswegen nicht die Ver­zweiflung zu bekommen, denn in uns lebt auch ein ganzes Universum, das vielleicht so etwas wie ein Spiegelbild jenes anderen Universums ist, und das wir sogar selber gestalten können. Wer lässt uns dabei mehr Freiheit als der Buddhismus, der - das muss wiederholt werden ! - ganz gewiss kein -ismus in unserem westlichen Sinn einer Ideologie ist.


Wo liegen nun unsere Alternativen ? Natürlich muss das jeder selbst herausfinden. Doch wie eh und je gibt es Tendenzen, die im Zuge einer Zeit liegen. Und als diese Tendenz schält sich ganz deutlich heraus, dass vor allem mehr von dem gebraucht wird, was wir etwas undeutlich als Kultur bezeich­nen. An dieser Stelle kann sich natürlich sofort neuer Streit darüber entfachen, was denn Kultur sei. In diesen Streit wollen wir nicht eintreten, denn darüber ist schon viel in allen Kontinenten gesagt worden. Es gibt tausende von Möglichkeiten, sich mit Kultur zu befassen. Doch wenn wir uns von einer rein öko­nomischen oder einer rein ökologischen Perspektive abgrenzen wollen, gewinnt der Begriff Kultur sehr schnell an klaren Umrissen.


Kultur steht immer in einer gewissen Gegnerschaft zur Politik. Umgekehrt braucht sie aber auch die Politik. Denn ohne sie kann Kultur nur im stillen Kämmerlein betrieben werden, was gewiss nicht ihr einziger Sinn ist. Kultur braucht unter anderem Bauwerke, und jene Bauwerke sollten der Kultur entsprechen, also zum Beispiel schön sein und dem Wesen der jeweiligen Form von Kultur entspre­chen. Ein Tempel, eine Festhalle, ein Theater, ein Museum oder ein Konzertsaal oder was es auch sei, - kaum eines von solchen Projekten wird sich ohne Mitwirkung der Politik verwirklichen lassen.


Sagen wir also zunächst in vielleicht zu großer Vereinfachung, die Alternative sei Kultur. In diesem Sinne wollen wir den dritten Buchstaben des zweiten Wortes unserer Bezeichnung ARS UNA verstehen, - als kulturelle Alternative. Dass die Alternativen auch etwas Anderes sein können, sei wohl verstanden.

8. Die Gesellschaft


Eine moderne Religion und eine moderne Gesellschaft gehören zueinander. Die Eine ist ein Spie­gelbild der Anderen und umgekehrt. So scheint es in diesem Zusammenhang unbedingt notwendig, auch nach den Veränderungen in der Gesellschaft zu fragen und zu schauen, wie die Entwicklungen parallel verlaufen.


Alles, was wir über moderne Tendenzen in der Religion gesagt haben, wird sich also auch in der Gesellschaft zeigen. Kunst und Wissenschaft werden in dieser eine viel größere Rolle als früher spielen und sie verändern. Gleichzeitig wird sich in der Gesellschaft die Tatsache widerspiegeln, dass die Menschen sich mehr als ein Ganzes empfinden und dies auch ausleben möchten. Die Gleich­wertigkeit der genannten vier Sphären, nämlich des Geistigen, des Gefühlsmäßigen, der Sex- und Machtsphäre sowie des enorm erweiterten Bereichs unserer Aktivitäten wird sich mehr und mehr auswirken.


Doch es gibt auch wichtige neue Bedingungen, die direkt die Gesellschaft beeinflussen und dadurch Rückwirkungen auf unser privates Leben und unser Verhältnis zu Religiosität haben. Hier sind der große technische und insbesondere auch der medizinische Fortschritt zu nennen. Die Menschen können heute weitaus gesünder als früher leben und haben die Möglichkeit, vieles zu steuern, was sich früher ihrer Einflussnahme entzog.


In allererster Linie gilt das für den sexuellen Bereich. Jeder kann in unserer Zeit selbst entscheiden, wann und wie viel Kinder er oder sie haben möchte. Dadurch können wir unsere eigene Verant­wor­tung wahrnehmen, dafür zu sorgen, dass das drohende Problem der Überbevölkerung entschärft wird. Kinder sollte nur bekommen, wer gesund und fit ist und wer auch in angemessener Form für die Kinder sorgen und ihnen auf den Lebensweg mitgeben kann, was sie brauchen.


Das bedeutet die Notwendigkeit einer guten Berufsausbildung, aber auch einer umfassenden Bil­dung in anderen Lebensbereichen. Dies wird heute gut und gerne zehn Jahre mehr unseres Lebens als früher in Anspruch nehmen, in denen man der Jugend vollen Spielraum geben sollte, das Dasein von allen seinen Seiten kennenzulernen. Dazu gehören auch Reisen und das Erlernen von Fremd­spra­chen. So wird es sinnvoll werden, sich erst im Alter von etwa 30 Jahren voll in die Arbeits­welt zu inte­grieren und eine Familie zu gründen. Da sowieso immer weniger Arbeitskräfte gebraucht werden , falls man die Ökonomie nicht künstlich puscht, sollte dies durchaus machbar sein.


Aus demselben Grunde sollte es auch genügen, wenn diejenigen Menschen, die das möchten, schon im Alter von 60 Jahren zu arbeiten aufhören. Das heißt aber nicht, dass diese sich dann den Rest ihres Lebens in den Lehnstuhl vor den Fernsehempfänger setzen sollen. Die Erfahrung dieser älte­ren Menschen, die im allgemeinen durchschnittlich auch noch viel fitter als früher sein werden, wird dringend von den jungen Menschen gebraucht. Daher sollten unbedingt Kontakte von jünge­ren und älteren Menschen gefördert werden.


Auf die Frage der Finanzierbarkeit solcher Vorschläge soll hier nicht im Detail eingegangen wer­den. Es mag durchaus sein, dass von einem rein wirtschaftlichen Standpunkt aus diese nicht akzep­tabel erscheinen. Doch erstens ist natürlich der rein wirtschaftliche Standpunkt in Frage zu stellen. Des Weiteren bedeutet ein Eingehen auf diese Vorschläge eine Innovation, und praktisch jede Inno­va­tion bedarf anfänglich oft nicht unerheblicher Investitionen, bis sie ?auf die Beine kommt?. Die Verwirklichung dieser Ideen sollte uns vielleicht auch einfach einiges Geld wert sein, das sich auf andere Art wieder auszahlt..


Wir haben es also mit drei Lebensaltern von je etwa dreißig Jahren zu tun. Das erste ist das ler­nende, das zweite das tätige und das dritte das gebende. Und wieder gilt das in allen Bereichen, sogar mehr und mehr auch im sexuellen Bereich. Immer häufiger trifft man in der Generation der über 60-Jährigen auf Menschen, die in dieser Hinsicht noch absolut fit sind. Bei Frauen ist dies unproblematisch. Jetzt müssen auch die Männer dieser Generation keine Angst mehr haben, noch Kinder in die Welt zu setzen. Das hatte früher aus verständlichen Gründen dazu geführt, dass insbe­sondere sexuelle Kontakte zwi­schen älteren Männern und jüngeren Frauen im schärfsten Maße geächtet wurden.


Ältere Menschen können jungen Menschen in allen Lebensbereichen viel geben. Umgekehrt haben auch junge Menschen auf ältere Menschen oft einen segensreichen Einfluss. Je stärker der Kon­takt ist, umso stärker ist natürlich dieser Einfluss. Schlussendlich wid es auch hier um das Gewin­nen von Einsichten gehen, und Religiosität muss dazu kommen. Diejenige Religion, die am offensten für solch moderne Lebensformen ist, scheint der Buddhismus zu sein, der schon immer Kontakte von jüngeren und älteren Menschen sehr gefördert hat. Beide werden auf­gefordert, einan­der zu achten, sich aber einander auch zuzuwenden.


Ein heikles Thema ist dabei die sexuelle Treue. Diese ist mehr als für die Erwachsenen für die Kin­der wichtig und sollte deshalb vor allem im mittleren Lebensalter eingehalten werden. Doch sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Menschen muss sie nicht mehr in demselben Maße eingefordert werden, wenn diese keine Kinder in die Welt setzen . Auch dies ist mit dem Buddhismus vereinbar, während dieser Gedanke in den etablierten westlichen Religionen auf großen Widerstand stößt.


Das eigentlich Wichtige mag sein, dass das Leben mehr von Meditation durchdrungen wird, und zwar in allen seinen Bereichen. Hierzu fordert der Buddhismus auf. Meditation ist nicht nur ein geisti­ges "Ding" oder ein gefühlsmäßiges, sondern sollte genauso den Sex- und Machtbereich wie auch die Sphäre unserer Aktivitäten umfassen. Wie das geschieht, das erfordert auf der einen Seite Offen­heit und auf der anderen Seite eigene Entscheidung. Nicht nur im privaten Bereich scheint Medita­tion wichtig zu sein, sondern gemeinsam erlebt bindet sie ebenso die jeweilige Gemeinschaft zusam­men und wird so zu einem wichtigen kulturellen Faktor.


Welche Art der Meditation dabei verwendet wird, dürfte im Grunde zweitrangig sein. Zwischen den ver­schie­denen kulturellen Ausprägungen liegen Welten. Dies entspricht der Verschiedenartigkeit von kulturellen Welten und damit von Gesellschaftsformen. Unabhängig davon, ob man zum Beispiel eine tibetani­sche Kanyu-Meditation, eine indische Kundalini-Meditation oder eine thailändische Pali-Meditation des dortigen Theravada-Buddhismus macht, sind Ziel und Möglichkeiten zur höhe­ren Einsicht überall ähnlich. Es wäre also wesentlich, sich klar zu machen, dass der kulturelle Rahmen etwas Untergeordnetes ist. Wichtiger mögen dagegen die Einsicht und auch das so hervorgerufene Gefühl einer im Prinzip weltweiten Gemeinschaft sein.

Updated May 29, 2017, first two chapters Sept.18, 2017


© Hans J. Unsöld, Berlin (Germany), 2010/2017


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