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Eine ungehörige oder gar gefährliche Philosophie
Eine ungehörige oder gar gefährliche Philosophie
Rabengesang
Rabengesang
Ein Klagelied möchten wir manchmal anstimmen, dass dies oder jenes nicht so ist, wie wir es gerne hätten. Dann wieder, an einem anderen Tag vielleicht, haben wir zwar Selbstvertrauen in das, was wir tun oder getan haben oder weiter verfolgen möchten, schrecken aber zurück vor uns
selbst oder in Wirklichkeit eher vor den Anderen, vor Freunden und Fremden, wenn wir deren ungläubige Gesichter sehen, die nicht annehmen, was wir meinen ihnen geben zu können.
Erschrecken wir vor unserer eigenen Initiative oder oder vor der harschen Reaktion, die wir tatsächlich erhalten? Müssen wir uns zwangsläufig in einer solchen Situation wieder zurückziehen, in ein Schneckenhaus verkriechen, dass wir möglicherweise weder haben noch fähig sind, uns zu schaffen, weil wir nicht wie echte Schnecken viel Kalk und Schleim ausscheiden?
Unsere Lebensweise, unsere Lebenserfahrungen, unsere Lebensbedingungen unterscheiden sich individuell sehr voneinander. Das spiegelt sich gewiss in dem wieder, was wir denken, was wir fühlen, was wir erreichen, was wir tun. Es ist individuell meilenweit voneinander entfernt, spielt oder schwebt oder stößt sich in völlig anderen Räumen, geschieht bei manchen blitzartig schnell, bei anderen Menschen scheinbar in quälend langsamer Zeit. Ist das einfach menschlich und muss akzeptiert werden oder?
Da kommt ein Vogel daher geflogen,- ist es ein traurig gescheiterter schwarzer Rabe oder eigentlich ein regenbogenbunter Paradiesvogel?- der krächzt plötzlich, dass es jenseits des schwarzen oder vielleicht auch regenbogenbunten Daseins im Hier und Jetzt, in Raum und Zeit, auch ein Wunderland geben könnte, wo all das gar nicht gilt,- wo all das vielleicht nur als überflüssige Begrenzung angesehen wird und wo wir auf völlig neue Gedanken, Gefühle, pfui, ja sogar Sex und angeblich unerlaubte sogenannte Aktivitäten stoßen, die vorher verboten, geächtet, vermieden und ausgeblendet waren. Was tun? Den Kopf unter einer dunklen Decke verstecken, die Gefühle brav zurecht stutzen, den Sex für eine Torheit der unreifen Jugend erklären und nur auf das Knarren und Ächzen unserer müden und unzureichend geschmierten Gelenke achten?
Nein, das Rezept scheint viel einfacher zu sein. Wer sagt eigentlich, dass jener komische oder penetrante Vogel Recht habe? Der verbreitet wie alle Vögel doch nur Scheiß und kann uns kein Paradies vorzaubern,- sei es auch nur in unserer Vorstellung, in neuen Gedanken oder was auch immer? Die Entscheidung ist ganz simpel, dass höher gestellte Menschen kein Vogelfutter essen und vollends nicht wie ein Vogel vögeln werden, weil der Vogel mit seinen Vorstellungen von höher gestellter und Jahrtausende alter Kultur einen Vogel hat.
Besagter Vogel lässt, was eigentlich sonst nicht seiner Art entspricht, traurig den Kopf hängen, weil seinem Empfinden nach besagte Menschen entweder faul oder arrogant oder von Vorurteilen verseucht oder sonst etwas noch schlimmeres sind. Ihr Geschrei, dass sie schließlich völlig frei seien und sich entscheiden könnten, wie sie selber wollen, erscheint ihm völlig verlogen. Schließlich leben wir alle, Menschen und Tiere, in dieser merkwürdigen Natur, die alles und jedes beeinflusst, also auch uns selbst, und damit sicher zur Folge hat, dass wir als winzig kleine Glieder in diesem möglicherweise unendlich großen Netzwerk nicht völlig frei sind, sondern unter vielen, vielen und dauernd sich ändernden Einflüssen stehen. Wir haben nicht umsonst Fähigkeiten zur Wahrnehmung entwickelt, Fähigkeiten zur Verarbeitung dieser Wahrnehmungen, und Fähigkeiten, aus diesen Verarbeitungen Schlüsse zu ziehen, die sowohl für uns selbst als auch für die gesamte Gemeinschaft aller Wesen um uns herum sinnvolle Veränderungen mit sich bringen können.
Sollen wir die Augen und Ohren verschließen, nicht sehen und hören , was dieser lästige Rabe dort krächzt? Ob er nicht vielleicht wirklich ein Paradiesvogel ist? Ach nein,- es gibt ja kein Paradies, nur die schwarze traurige Realität, die offensichtlich auch das eigentlich bunte Gefieder des Raben schwarz gefärbt hat. Woher kommt nur diese schwarze Farbe? Schwarz ist doch gar keine Farbe, schwarz ist nur das Fehlen von jeglicher Farbe. Kommt es daher, dass Ihr keine Farbe bekennen wollt? Verstopft Euch nur weiterhin die Augen und Ohren, bis alle Tierarten ausgestorben sind! Lange wird das nicht mehr dauern, bis alle wieder zu Elementarteilchen werden und in einem schwarzen Loch verschwinden. Dann entsteht eine neue Welt.
Aber, aber, aber es gibt doch auch unter uns und in uns verschiedene Welten. Jeder lebt in seiner eigenen Welt, hat seinen eigenen Raum und seine eigene Zeit. Oder stimmt das nicht? Entweder ja, dann stimmt in den Rabengesang ein. Oder nein, dann lasst diesen lästigen oder komischen oder aufdringlichen oder überflüssigen Raben doch vor die Hunde gehen. Schon ganz müde krächzt der Rabe immer wieder, aber mit abnehmenden Kräften, dass er keine Hunde mag, sondern Katzen. Gibt es darauf keine bessere Antwort als Verdammung der ach so verwerflichen Prostitution, die nicht zuletzt vom Raben selbst mit dieser assoziiert wird? Die Katzen sind oft viel menschlicher, als Ihr es ahnt. Natürlich, sie folgen der Natur ihrer Umgebung, die fundamentalistisch kapitalistisch egoistisch übel verseucht ist. Sind daran die Tiere oder die Menschen schuldig? Die Tiere gewiss nicht. Fundamentalistisch sind alle wie auch immer verkleidete Päpste, kapitalistisch alle, die Waffen welcher Art auch immer erzeugen oder gebrauchen, und egoistisch alle, die ihre Augen und Ohren verschließen.
Na.- was nun? Alle Gurus empfehlen Meditation. Meditation ist gewiss gut und nützlich, jedoch nur möglich entweder allein in einem langweiligen Kämmerlein oder gemeinsam in einer Gruppe, die zusammen findet. Beides hat seine Haken. Der Rabe hält seine Schreiberei für eine Art von Meditation, die er auch mit Anderen in der Ferne teilen kann. Er will nicht belehren. Er möchte nur zeigen, dass Meditation ihn zu neuen Einsichten gebracht hat, und meint, dass diese Einsichten auch für Andere Fortschritt mit sich bringen können. Aber wahrscheinlich stört diejenige Einsicht, die sein Ausgangspunkt war, die Anderen am allermeisten, und wird am stärksten geächtet, obwohl dazu heutzutage überhaupt kein Anlass mehr besteht. Sex ist für ihn eine besonders tiefe Form von Meditation. Die Gurus behaupten, die Stille sei bei der Meditation das wichtigste. Der Rabe meint dagegen, dass "der Kick" in einer abenteuerlichen Situation noch größer ist.
Abenteuerliche Situationen sind Singularitäten im Leben, Ausnahmesituationen, in denen die Kontinuität nicht gewahrt ist, Geburtsstunden, wenn etwas neues entsteht. Jedes Leben und in diesem Sinne jede eigene Welt hat eine eigene Geburtsstunde, bildet eine eigene Singularität. Abenteuer können einen neuen Anfang innerhalb eines Lebens bedeuten. Es gibt also möglicherweise viele Singularitäten, nicht nur eine einzige für jedes Leben, jede Welt, und folglich auch mit aller Wahrscheinlichkeit mehrere Singularitäten für DIE Welt. Der Rabe hält die Idee von einer einzigen solchen Singularität, von einer Schöpfung, von einem Big Bang, in welchem alles, was es gibt, geschaffen wurde, für völlig abwegig. Wie aber ist die Entwicklung der Welt zu verstehen?
Urstoff
Was ist zuerst in der Welt gewesen? Gott? Vielleicht ganz zu Recht sagen die Moslems, dass wir uns von ihm kein Bild machen "dürfen", - oh nein, muss es nicht besser heißen: machen können. Dieses angeblich männliche Wesen lässt sich nicht analysieren oder gar entsprechend den Wünschen von heutigen system-konformen Wissenschaftlern,- kaum einer spricht hier von Fundamentalismus, - gar durch Experimente überprüfen. Ob das nun der wichtigste Gesichtspunkt ist, darüber lässt sich lange streiten. Aber sicher ist es naheliegender, zunächst einmal an Materie oder Masse, oder wie man auch dieses zutiefst weltliche Zeugs nennt, zu denken, wobei dann natürlich sofort auch die Energie als Zwillingskind nicht außer Acht gelassen werden kann. Der naturwissenschaftliche Fachausdruck für Zwillingskind ist Dualismus. Von Dialektik, Synthese und Antithese oder Materie und Antimaterie zu sprechen, dürfte vermutlich praktisch dasselbe sein, obwohl sich das zumindest bislang nicht beweisen lässt.
Die beiden Urahnen von allem, was ist, müssten aus etwas Anderem entstanden sein. Da Sexualität damals zwar noch nicht verpönt, aber noch unbekannt war, kommt für diesen potentiellen Entstehungsprozess wohl nur Teilung infrage. Der Ururahne müsste also ein Urstoff gewesen sein. Das hilft uns allerdings puncto Erkenntnis zunächst nicht viel weiter, denn statt zu fragen, woher Masse (ja Materie ?) und Energie gekommen sind, ergibt sich die Frage nach der Herkunft des Urstoffes. Doch reduzieren wäre vielleicht gar nicht schlecht. Der Rabe hat in seinen asiatischen nächtlichen Meditationen davon gekräht, dass die heutigen Erklärungsversuche und Beschreibungsmethoden der Naturwissenschaften und insbesondere der Physik für den allgemeinen Gebrauch viel zu kompliziert sind und dass deshalb eine Mini-Physik "her" müsse, in der alles à la Mini-Musik auf das Geringstmögliche reduziert wird.
Nun könnte man fragen, ob zuerst Masse oder zuerst Energie aus einem solchen "natürlich" total hypothetischen Urstoff entstanden sein könnte. Das läuft auf das bekannte Problem hinaus, ob erst das Huhn oder das Ei da waren. Dieses kann prinzipiell, nicht etwa aus Gründen mangelnden Gehirns, nicht vom Huhn selbst entschieden werden, aber sehr wohl von außen, indem die Entstehung von asymmetrischen Teilungen in der Evolution der Lebewesen untersucht wurde. Die Lösung beinhaltet die Absurdität der Fragestellung.
Analog können wir uns fragen, wie die Lösung bei der Entstehung von Masse und Energie aussehen würde. Auch in diesem Fall könnte eine Lösung und der eventuelle Nachweis entsprechend absurder Fragestellung nur von "außen" erfolgen. Das bedeutet aber, dass ein derartiges Außen bereits existiert haben müsste, dass also die angebliche Entstehung von Masse und Energie in etwas dahinter eingebettet ist oder war (aber es gab noch gar keine Zeit) , was für uns prinzipiell unerkennbar sein muss.
Sofort werden die Freunde des ebenso hypothetischen Gottes jubeln, wofür aber nicht der geringste Anlass besteht. Wohl lässt sich daraus Religiosität rechtfertigen, aber jener angebliche Gott ist dafür schlicht und einfach nicht nötig, und schon gar nicht ein angeblich menschlicher. Kant wusste das schon lange.
Bleibt die Frage nach jenem Urstoff, die möglicherweise mit der Frage nach dem Entstehen von natürlichen Dualismen oder auch geistiger Dialektik gleichbedeutend ist. Lässt sich über diesen genauso wenig etwas sagen und ist er im Grunde mit dem von Kant beiseite geschobenen Gottesbegriff zusammenhängend? Was historisch alles unter Gott verstanden wurde, das ergibt lange Listen. Was den Urstoffbegriff betrifft, so zeigt das famose Internet sehr schnell, dass es damit ganz ähnlich steht. Wikipedia verkündet unter dem Stichwort Urmaterie, welches unter feinen Leuten gegenüber der proletarischen Bezeichnung Urstoff bevorzugt wird, eine wunderschöne Kollektion der Vorschläge.
In chinesische Mythen ist Hun Dun der amorphe Dampf der urzeitlichen Formlosigkeit. Ehe wir ins Grübeln verfallen, ob jener Dun etwas mit unserem Dunst zu tun hat, stoßen wir in der indischen Samkhya-Philosophie auf "Prakriti", in der griechischen Philosophie auf Apeiron, bei Platons Timaios auf eine "Chora", bei Aristoteles auf eine "Hyle", bei dem späteren griechischen Philosophen Antiochos von Askalon auf ein Urprinzip Materie (dieser vergaß offensichtlich bereits die Energie), und ähnlich bei dem jüdischen Philosophen Salomon Ibn Gabirol auf ein materielles Substrat.
Im englischsprachigen Bereich stellt der entsprechende Ausdruck primary matter bereits die Weichen für den Materialismus, was derartige Auseinandersetzungen einseitig gemacht und praktisch verhindert hat. Umso mehr hat man sich später dort für die Energie interessiert, kräht der Rabe und überlegt weiter, wie das Huhn-Ei-Problem nun auf das Masse-Energie-Problem übertragen werden kann. Ist das uninteressant, weil man ja schon von vornherein weiß, wie das ausgehen muss, und weil alle Positivisten schon im voraus sich freuen, dass sich wieder einmal zeigt, dass solche Fragestellung zu verdammen ist, weil sich dort experimentell nichts beweisen lässt?
Was könnte es denn außerhalb des Urstoffes geben, womit man diesem zu Leibe rücken könnte? Dem Raben kam nicht als erstem die Mathematik in den Sinn, - nicht die übliche Mathematik, die in den Naturwissenschaften gebraucht wird und die zutiefst von Raum und Zeit infiziert ist, welche es damals eben noch nicht gab. Also vielleicht eine Mengenlehre, die die Basis für solch eine Mini-Mathematik sein könnte.
Was sollte denn dieses utopische Gedankenkonstrukt leisten? Zunächst einmal tönt sofort der Einwand, dass ein Gedankenkonstrukt genauso anthropomorph wie einst jener Gottesbegriff ist und dass man also besser seine Pfoten davon lässt und sich dem täglichen Leben zuwendet. Der Rabe hat im Hinterkopf, dass es offensichtlich zwei ganz verschiedene Arten von Mathematik geben muss, um das komische Etwas, das Welt genannt wird, zu beschreiben, nämlich die mit Funktionen operierende klassische Mathematik und die dem Raben so imponierende, aber wenig entwickelte, mit Generationen operierende fraktale Mathematik. Die beiden Arten seien, so behauptet er einfach, eben die eigentliche Basis des westlichen oder östlichen, voneinander grundverschiedenen Denkens.
Also würde für intelligente Mathematiker die Hausaufgabe entstehen, aus einer minimalen Mengenlehre quasi durch Teilung, verbunden mit Einführung einer Quantenzahl, die beiden Arten von Mathematik zu erzeugen. Die Quantenzahl würde sowohl eine Eigenschaft als auch eine Generationszählung beinhalten, also bereits einen dualen Charakter haben. Damit würden nicht nur die zwei verschiedenen Arten, die Welt zu begreifen, beschrieben, sondern auch die Einführung von Quantenzahlen selbst ihren Anfang nehmen. Der Verdacht liegt nahe, dass mit jeder neuen Generation dann eine weitere neue Quantenzahl vergeben wird, und dass die Quantenzahlen im Grunde die Basis aller Informatik sind. Auch genetische Codes wären demnach Weiterführungen der Quantenzahlen im niederenergetischen Bereich, und der Computer mit seiner Null-Eins-Informatik eine Fortführung desselben Prinzips.
Zwei derart verschiedene Arten von Mathematik würden aber wieder einen Dualismus bedeuten. Ein Dualismus würde also das Kind eines anderen Dualismus sein. So lässt sich die Welt nur durch Ringschlüsse beschreiben. Zur Welt gehören aber auch Singularitäten, die also ebenfalls die "Kinder" von anderen Singularitäten sein müssten. Ein einziger erster Big Bang lässt sich damit nicht begründen.
Entwicklung
Entwicklung und nicht Entstehung, früher meist Schöpfung genannt, ist das Thema. Was ist das Wesen von Entwicklung? Wie hat sich Entwicklung entwickelt? Solch eine Metaentwicklung könnte der Schlüssel sein, um fruchtlose Fragen über Schöpfung zu ersetzen.
Entwicklung findet nur während aufeinander folgender Generationen statt. Selber lebt der Durchschnittsmensch aber nicht einmal hundert Jahre. Oder ist es sogar falsch zu sagen "nicht einmal", weil das im Grunde sogar vielleicht eine zu lange Zeitspanne ist? Wir haben heutzutage das Gefühl, dass die allgemeine Entwicklung unserer Gesellschaft eine viel kürzere "Halbwertszeit" hat,- eher die Zeitdauer einer Generation gemessen an dem durchschnittlichen Alter, in welchem die Menschen Nachwuchs produzieren. Was definiert die Dauer einer Generation?
Sicher nicht die Lebensdauer, sondern eher eben die Zeit, bis Nachwuchs kommt. Im Tierreich sind die eigentlich einzigen Veränderungen, die von einer Generation zur folgenden auftreten, genetischer Art, also Mutationen. Da aber bekannt ist, dass grob gerechnet nur etwa 0,1 % aller Mutationen fittere Nachkommen zur Folge haben, muss viel Nachwuchs erzeugt werden, damit bei dem unter solchen Umständen notwendigen scharfen Auslesekampf genügend häufig ein in diesem Sinne positives Resultat erreicht wird.
Nun haben die Menschen die Kultur erfunden. Welche Rolle spielt diese dabei? Kulturelle Entwicklungen bringen auch neue Kulturformen mit sich. Das ist in früheren Zeiten allem Anschein nach deutlich langsamer als heute vor sich gegangen, hat sich also beschleunigt. Lässt sich das messen? Zum Beispiel haben Stilperioden wie die Romanik oder die Gotik jeweils zahlreiche menschliche Generationen lang gedauert, während in jüngster Zeit sich bereits mehrere Stilperioden innerhalb einer einzigen menschlichen Generation abspielen. Kultur beschleunigt also Entwicklung in einem echten Sinn, während viele andere sogenannte Entwicklungen, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich, bekanntlich immer häufiger an "Grenzen des Wachstums" stoßen.
Dass verdeutlicht die Behauptung, dass Entwicklung und Wachstum grundverschiedene komplementäre Vorgänge sind, was enorme Bedeutung für das praktische Leben und damit die Politik haben kann. Die neue Frage kommt zunächst einmal auf, ob diese offensichtlich prinzipielle Einschränkung von Wachstum umgangen werden kann, und ob das Wachstum selber eine unveränderliche Erscheinung ist oder sich selber grundlegend ändern, also weiter entwickeln kann. Ansätze dazu sind in Sicht etwa mit dem Übergang von rein auf Energie-Dissipation beruhender Entwicklung zu solcher, die auf erneuerbarer Energie beruht. Eine weitere Möglichkeit ist, statt einfach vorhandene Energie-Speicher aufzubrauchen, selbst neue Energie-Speicher anzulegen, im einfachsten Fall in Form von besseren Batterien, aber durchaus auch in einer dem Öl vergleichbaren chemischen oder gar nuklearen Form.
Raben-Philosophie
Manche werden sich darüber wundern, warum der Rabe mehr oder weniger plötzlich die Philosophie entdeckt hat? Hat er ein neues Terrain gefunden, wo er meint sich profilieren zu können? Oder was steckt dahinter?
Wenn ein Homo sapiens oder ein Rabe von Philosophie reden, meinen sie nicht unbedingt dasselbe. Normalerweise wird dieser Ausdruck nur vom Homo sapiens gebraucht, welcher darunter zwar genauso wie der Rabe und schon die alten Griechen im Gefolge seines Erfinders Phytagoras die Liebe zur Weisheit verstehen, doch oft trickreich mit Hintergedanken. Gedanken haben mit denken zu tun, der Zusatz "Hinter" erinnert an Hintertürchen, Hinterhalt, Hinterlist oder gar den Hinterteil eines jeden höheren Lebewesens. Die Liebe zur Philosophie soll sich also auf Gedanken bzw. den Verstand gründen, während alles übrige stillschweigend tabuisiert wird. Das passt dem störrischen Raben mal wieder gar nicht. Immer wieder und wieder krächzt er sein semi-animalisches Credo, dass der Homo sapiens gar nicht viel anders als auch die besagten höheren Tiere aus einem Kopf, zwei Körperteilen (seien sie nun oben und unten oder vorn und hinten) und den Extremitäten bestehen, welche jeweils als Sitz der zerebralen, der kardio-pulmonalen, der energo-reproduktiven und der aktiven vitalen Funktionen anzusehen sind. Puuh!- welch grausige Fremdworte! Geht es wirklich in der Philosophie nur um den Gebrauch des Verstands? Will der Homo sapiens etwa wieder einmal seine nicht nur abstammungsmäßige Nähe zu den Tieren herunterspielen oder gar gänzlich verbergen? Die Christen und die Betreiber von Schlachthäusern scheinen sich einander die Hände zu reichen.
Raab sagt der Rabe, bei dem die beiden Körperteile gar nicht so deutlich voneinander getrennt sind. Offensichtlich darf er sich nicht einmal zu den höheren Tieren rechnen, obwohl er doch ganz klare Ansichten zu diesem Thema hat. Diese passen weder den Christen noch den Schlachthausbetreibern noch manchen anderen Menschen zwischen diesen beiden Gruppen absolut nicht ins geliebte Bild. Doch er insistiert.
Die vier auf lateinisch entfremdeten Anteile nennen sich in der Umgangssprache denken, fühlen, durchsetzen und handeln. Sie gelten durchaus nicht nur für die Menschen. Die Konsequenzen aus dieser simplen Feststellung gefallen besagten Menschen aber gar nicht. Sie meinen viel besser als die nur mäßig geachteten Tiere ihr Hirn brauchen zu können, viel besser als zum Beispiel eine Katze fühlen zu können, den Vergleich der sexuellen Fähigkeiten vermeiden sie durch Tabuisierung, und was ihre Handlungsfähigkeit betrifft, so weiß ja jeder, wie gut sie Tiere einsperren, Kriege führen und glorreiche Technik entwickeln können. Ein hoffnungsloses Thema!
Wenden wir uns also wie beabsichtigt der Liebe zur Weisheit, der sogenannten Philosophie zu! Diese wurde zur Domaine des Verstandes erklärt. Vielfach als verbindlich angesehen wird die Definition des Baptisten-Predigers Charles Spurgeon (1834-1892), wonach Weisheit der rechte Gebrauch von Wissen ist, womit dieser seine wenig liberalen und pragmatischen Tendenzen kund tat. Ihre Ausübung wurde im wesentlichen auf die moderne Form von Tempeln, genannt Universitäten, beschränkt. Doch der unziemliche Rabe hat zum Beispiel am Rande eines Khlongs im damals noch freien thailändischen Bangkok aus seinen als ungebührlich betrachteten Abenteuern völlig andere Schlüsse über die Liebe zur Weisheit, also die Philosophie, gezogen. Es gibt nicht nur eine Weisheit des Verstandes. Schon die animalische Weisheit des Raben, der ja nicht einmal ein höheres Tier ist, reicht viel weiter, und zwar in durchaus bekannte Bereiche. Es gibt eine Weisheit der Gefühle, man kann auch von der Tätigkeit der Vögel, also dem Vögeln, trotz gegenteiliger Meinung von Thomas von Aquin und den meisten religiös angehauchten späteren sogenannten Philosophen gewiss zu mehr Weisheit gelangen, und keiner soll sagen, dass mit den Händen arbeitende Menschen (nicht nur Künstler!) und sich zu Fuß abmühende Leute (nicht nur Reinhold Messner) nicht auch einen Zuwachs an besagter Weisheit zu verbuchen haben.
Das hat die peinliche Folge, dass die Philosophie nicht nur ein hinter den dicken Mauern der Universitäten zu behandelndes Sujet ist, sondern dass die Chance, auch an anderen Stellen zu neuer Weisheit zu gelangen, vertan wird, obwohl sie ganz sicher nicht Null und nach dem Abschöpfen des Rahms durch die Universitäten und sich mit ihnen identifizierenden Leuten jetzt vielleicht sogar erheblich größer ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür wird umso größer sein, je größer die Abweichung vom Durchschnitt ist. Durchschnitt wovon? Nicht nur von den durchschnittlichen Gedanken, sondern auch von den durchschnittlichen Gefühlen, dem durchschnittlichen Sex und den durchschnittlichen Tätigkeiten.
So macht der Rabe unverhohlen und scheinbar arrogant Reklame für sich selbst. Sein Denken als nicht einmal höheres Tier ist sicher nicht das eines durchschnittlichen Homo sapiens, sein asiatisch beeinflusstes Fühlen, sein Vögeln am Khlong und seine dortigen Aktivitäten genauso wenig. Hat er dadurch etwa nicht das Recht zu philosophieren? Darf er das, wozu er im Laufe des Schreibens von sechs Büchern gekommen ist, nicht Philosophie nennen? Ist das etwas ganz anderes? Es umfasst mehr als die gängige, zum Beispiel universitäre Philosophie, schließt diese also durchaus ein. Doch die universitäre Form schließt umgekehrt nicht diejenige des Raben ein. Genau gegen diesen Sachverhalt haben sich schon manche seiner Freunde gewandt, etwa Homer bei Odysseus' Fahrten mit seiner Hochsee-Yacht oder Dionysos in seiner beengten Tonne oder Francois Villon beim höfischen Treiben oder Bettina von Arnim auf ihrer Eisscholle oder Lauryn Hill beim MTV Unplugged,- alles Leute, die in ziemliche Schwierigkeiten mit der jeweiligen Gesellschaft geraten sind.
Nachkriegsnächte revisited
Ein Schlüsseltraum dürfte sein, in eine junge, sehr geliebte Frau nicht eindringen zu können. Wer diese Frau war, blieb unwichtig, wurde schnell vergessen, kehrte als Knackpunkt aber immer wieder. Schon als Schulkind hatten mir vermeintliche Kameraden hinterher geschrien: Schlappschwanz! Ich war spindeldürr, wohl eher wegen falscher Ernährung als aus Veranlagung. Sex wurde schon im Alter von drei Jahren zu einem heißen Thema. Wohl praktisch alle in unserer Familie hatten in dieser Hinsicht einen kräftigen Ofen in sich. Das wurde herunter gespielt, etwas stärker in der väterlichen pietistisch angehauchten als in der mütterlichen hugenottisch beeinflussten Familie. Ich schlief bei den Eltern im Schlafzimmer. Offensichtlich warteten diese immer brav ab, dass ich einschlief, bevor sie los legten. Doch auch bei mir regte sich in diesem frühen Alter schon deutlich etwas. Gefragt, was ich da machte, antwortete ich, dass "ich den Wauwau (Hund) melke". Dieser Satz blieb meine erste sprachliche Erinnerung und hier setzte die erste Unterdrückung ein. Von kindgemäßer Aufklärung gab es keine Rede.
Der zweite Satz, an den ich mich zeitlebens erinnere, fiel vermutlich genau am 1. September 1939. Ich hörte: Jetzt hat der Krieg angefangen. Was das bedeutete, blieb ebenfalls ohne Kommentar, wurde aber nach einiger Zeit durch Bombenangriffe auf unsere Stadt deutlich illustriert. Sehr früh regte sich in mir sicher schon der unbewusste Wunsch nach Information von einer anderen, möglicherweise auch von mehreren anderen Welten. Dieser wurde zuerst von der lieben älteren Frau im Obergeschoss genährt, die mir "Pinocchio" vorlas, die Story von dem Jungen, der aus einem anderen Holz geschnitzt ist, und vom Walfisch, dem Krieg, aufgefressen und am Strand einer fernen tropischen Insel ausgespuckt wird.
Im vorletzten Kriegsjahr kamen wir wirklich an einen Strand,- in die zumindest im damaligen Winter eisigkalte Antiwelt meiner Großeltern, wo ich noch erlebte, wie mein halb-tauber Großvater tagtäglich Bäume pflanzte. Was hinter dem Meer sein mochte, beschäftigte meine Fantasie, doch tödliche Tieffliegerkämpfe am helllichten Tag direkt vor meinen Augen und des Nachts fast heimlich ankommende Flüchtlingsschiffe bildeten die Realität. Die Ancona entging anders als die von Günter Grass beschriebene Gustloff den masenmordenden Torpedos. Tausende Flüchtlinge verschwanden in der Dunkelheit fast unbemerkt im Lande. Wir bekamen niemanden von ihnen zu sehen.
Von Männern war keine Liebe zu erwarten. Sowohl der Vater als auch Schulbuben schlugen mich. So wandte ich mich umso mehr den Frauen zu und suchte bei ihnen Liebe. Diese Suche wurde wieder und wieder als Schwäche verstanden und zurück gewiesen. Vom Vater bekam ich die weltweite Anerkennung als Forscher vorgelebt. Jene Welt blieb auch im Bereich der Fantasie. In der Realität kümmerte sich mein Vater immer weniger um mich, und der nachfolgende, oft als wonnig bezeichnete Bruder wurde zur Konkurrenz. Was ein Junge von seinem Vater lernen kann, blieb für mich bis ins Erwachsenenalter hinein ein großes Geheimnis und ich selbst blieb unbeschreiblich unbedarft. Dafür kompensierte ich und profilierte mich mit aufgeschnappten "Erkenntnissen". Im Gymnasium bekam ich den Spitznamen Pater.
Hinter meinem schon früh einsetzenden Interesse an Mädchen steckte eigentlich immer auch der Wunsch, andere Welten kennenzulernen. Noch kannte ich nicht das Geheimnis, dass mann tatsächlich in sie eindringen kann. Ich blieb ein Junge und kein Mann. Schon damals fühlte ich mich impotent, hatte meist nur eintägige Bekanntschaften, aber immer mit Wesen aus anderen Welten. Die Tochter des Schlachters, die Tochter aus einer von Ostafrika zurück gekehrten bekannten Kaufmannsfamilie, die Tochter eines dänischen Kapitäns, die Tochter eines vormals bekannten Marine-Admirals,- alle waren schön, aber umso abweisender, je mehr ich sie liebte. Nur Mädchen, die ich selbst nicht sonderlich achtete, mochten mich, und die Schönheit blieb auf der Strecke. Waren schon zu jener Zeit noch völlig unbewusst meine späteren Ideen von der zentralen Bedeutung von Einfachkeit, Schönheit und Stimmigkeit, letztere heute als Konsistenz bezeichnet, bestimmende Maßstäbe?
Naturwissenschaften ohne Experimente?
Jeder Studienanfänger in den naturwissenschaftlichen Disziplinen lernt quasi mit der Muttermilch, dass alle Theorien in diesem Bereich durch Experimente bewiesen sein müssen. Wer von diesem Grundsatz abweicht, wird geächtet. Dies dient unter anderem auch der Abgrenzung gegen die Geisteswissenschaften, bei denen dergleichen weder möglich noch üblich sei. Hinter vorgehaltener Hand begründen Naturwissenschaftler mit diesem Tatbestand oft auch ihre Ablehnung oder gar Verachtung für Geisteswissenschaften, die umso größer ist, je weiter ein geisteswissenschaftliches Fachgebiet von experimenteller Verifizierbarkeit entfernt ist. Dieser Abstand ist bei weitem nicht gleich groß bei all jenen Arbeitsfeldern. Er ist weitgehend unabhängig davon, ob das Vorgehen analytisch oder synthetisch ist, was von Geisteswissenschaftlern oft als kennzeichnendes Merkmal dieser beiden Arten von Wissenschaft angesehen wird. Einer Naturwissenschaftler kann sich zum Beispiel in der Chemie Synthesen widmen, während Geisteswissenschaftler Textanalysen unternehmen.
Kritischer ist generell die Abgrenzung gegen spekulative Untersuchungen. Auf der einen Seite gibt es Gebiete, die sich jeglicher Überprüfung entziehen, zum Beispiel Esoterik, auf der anderen Seite dagegen haben wir mit einem nahtlosen Übergang zu den Naturwissenschaften zu tun, zum Beispiel in den modernen Ausprägungen der Archäologie, der Anthropologie und der Psychologie. Doch es gibt auch völlig verschiedene Formen der Spekulation. Zu Recht negativ beurteilt werden gewiss Spekulationen, die einfach eine gründlichere Auseinandersetzung vermeiden wollen oder nur der Erhöhung der eigenen Position dienen. Dagegen können Spekulationen auch als heuristische Methode eingesetzt werden, wenn Experimente entweder vorläufig oder vielleicht auch grundsätzlich nicht möglich sind. Manche inzwischen voll etablierte Entdeckung verdankt ihren Ausgangspunkt einer solchen Spekulation. Auf Beispiele wird an dieser Stelle verzichtet, denn im Moment soll vor allem die andere Art von Spekulation beleuchtet werden. Kann oder muss vielleicht sogar in manchen Bereichen Spekulation heuristisch verwendet werden? Diese Frage läuft darauf hinaus, ob es Bereiche gibt, wo Experimente im Moment oder möglicherweise sogar prinzipiell nicht möglich sind. Im letzteren Fall wäre also Spekulation vielleicht der Königsweg, um weiter zu kommen. Weiter wohin?
Dafür muss es Leitwege geben. Wenn die ursprünglich verabscheute Spekulation hier plötzlich "gesellschaftsfähig" werden soll, muss der Auswahl dieser Leitwege umso größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Wie lässt sich die Güte solcher Leitwege beurteilen? Die Situation erinnert zum Beispiel an die Berechnung von Flügelprofilen moderner Flugzeuge. Auch dort meinte man zunächst, es gäbe keine Experimente, um diese zu berechnen. Man konnte nur probieren und nannte das auch Experimente. Was herauskam, war ein Optimierungsprozess durch Iteration, der vor allem durch Computer sehr erleichtert und oft sogar erst möglich gemacht wurde. Wird dieses Verfahren sich auch anwenden lassen, wenn wir versuchen wollen, in Bereiche vorzustoßen, wo Experimente überhaupt nicht mehr möglich sind?
Genau das ist im Grunde die Methode des Raben, der als einfach strukturiertes Wesen es nicht nötig zu haben scheint, sich um die grundsätzlichen ihm schon bei der Aufzucht eingetrichterten Methoden zu kümmern. Er schaut sich eben in anderen Disziplinen um. In der Religiosität (wieder und wieder betont er, wie sehr er das Wort Religion vermeidet, was ihm zu sehr nach Institution riecht) meint er die Einfachkeit als Leitweg entdeckt zu haben, in der Kunst die Schönheit und in den ach so vermiedenen Naturwissenschaften doch auch noch "etwas" Gutes, nämlich das Prinzip der Konsistenz. Ah ha,- drei leitende Dimensionen,- sind diese etwa mit Leitwegen synonym? Der Rabe meint außerdem zu wissen und sich nicht nur einfach aus den Fingern zu saugen, dass es "immer" vier Dimensionen gibt. Die vierte Dimension muss also diejenige der Entwicklung sein. Entwicklung? Das ist doch sein Lieblimngskind, das Ei, auf welchem er als normaler Vogel schon eine ganze Weile brütet und welches er wie immer in der Natur durch Vögeln erbrütet hat,- eine Methode, die dem Papst und prüden Geistern gar nicht zu gefallen scheint. Muss da nicht langsam mal etwas ausschlüpfen? Ängstlich schaut er sich um, denn er weiß um die große Gefahr von Raubtieren und von Viren für neue Geisteskinder, welche gerade das Licht der Welt erblicken wollen. Um ihn herum sitzen unter anderem hässliche Unken, die nur quaken, das seien doch sowieso Totgeburten. Spekulieren sie darauf, dass dann die Aufmerksamkeit des Raben nachlässt und sie oder andere umso leichter an die Beute herankommen?
Gerichtete Entwicklung
Das Grundprinzip aller naturwissenschaftlichen und damit auch aller technischen Betrachtungen, Forschungen und Entwicklungen ist das vierdimensionale Raum-Zeit-Koordinatensystem. Die drei räumlichen Koordinaten werden von Massen erzeugt und sind damit festgelegt, also nicht frei. Jeder begrenzte Raum hat so gesehen seine eigenen, durch die dort vorhandenen Massen bestimmten Koordinaten und folglich auch seine eigene Zeit. Die Zeit als vierte Dimension ist eine bzw. die einzige freie Koordinate. Daher muss alle Entwicklung in Raum-Zeit-Systemen entlang der Zeit verlaufen. Da die Zeit durch abzählen definiert ist, also durch die entsprechend genannten natürlichen Zahlen, ist sie deswegen in solchen Systemen eine gerichtete, also vektorielle Größe, die nur in einer Richtung sich ändern kann und somit nicht umkehrbar ist, weil es keine negative natürliche Zahlen gibt. Das wird zunächst einmal Entwicklung genannt und beinhaltet die Entwicklung dieser Entwicklung, also die Metaentwicklung.
Menschliche Entwicklung gibt es in vielen Teilbereichen, doch allen ist gemeinsam, dass sie nach geistigen Maßstäben verläuft bzw. zumindest nach diesen beurteilt wird. Unter Kultur können wir in der Sicht des Raben ein System verstehen, das sich an Wahrheit, Moral und Authentizität orientiert. Diese drei Dimensionen könnten im Prinzip auch aus den natürlichen Dimensiionen des Raums hervorgehen. Sie müssten sich durch eine Transformation aus diesen herleiten lassen, was der Rabe allerdings noch nicht machen kann. Mit Orientierung ist ein Bezug auf festgelegte Koordinaten gemeint. Die Festlegung von Wahrheit, Moral und Authentizität ist also die Basis für die Orientierung aller so verstandener Kultur. Die einzige freie Dimension ist in besagter Sicht des eigensinnigen Raben diejenige zwischen Ordnung und Chaos. Menschliche kulturelle Entwicklung geht also so gesehen nach dem Grad von Ordnung vor sich.
Hier entsteht nun sofort die Frage, ob Kultur sich zu größerer Ordnung oder zu größerem Chaos hin entwickelt. Kulturelle Entwicklung kann offensichtlich nicht nur in einer Richtung wie allgemeine natürliche Entwicklung entlang der Zeit vor sich gehen, sondern in zwei Richtungen,- zu größerer Ordnung oder zu größerem Chaos hin. Sie muss also auf einem Zwischenweg verlaufen, dem schon in dem Buch "Jenseits von Wo und Wann" gepriesenen Weg der Mitte. Diesen versteht der arrogante Rabe aber anders als in fundamentalistischer Lesart des Buddhismus, nämlich als Gratwanderung zwischen eben als fundamentalistisch angesehenen Extremen, in diesem Fall also zwischen Ordnung und Chaos. Weder völlige Ordnung, in deutlich machender Überzeichnung law and order genannt, noch völliges Chaos, zum Beispiel durch den Ausdruck "Anarchisten" auch als extrem charakterisiert, sind eine Basis für unsere Kultur. Schon zum Beispiel beim Steirischen Herbst 1989 wurde deutlich gemacht, dass insbesondere Kunst im Grenzbereich zwischen Ordnung und Chaos angesiedelt ist.
Behinderte Entwicklung
Das war die Zeit kurz vor dem Fall der Berliner Mauer, die nur etwa einen Kilometer entfernt vom jetzigen Nest des Raben stand. Ist es kein Zufall, dass er sich hier angesiedelt hat nach seinem fluchtartigen Verlassen Thailands? Jenes schöne ferne Land wird jetzt von einer Diktatur durch einen General geplagt, der mit dem angeblich über alle Kritik erhabenen König kooperiert. Dort herrschen jetzt außer unglaublicher Geldverschwendung auch law and order und hemmen jegliche kulturelle Entwicklung.
Im Westen läuft die kulturelle Entwicklung ebenfalls absolut nicht immer auf besagtem Mittelweg. Beispielsweise wird es immer schwieriger, Dinge zu publizieren und sich damit Erstrechte zu sichern. Die Bosse von großen Zeitschriften verhalten sich wie Kardinäle der römischen Kurie und unterdrücken nicht genehme Ideen auf Geheiß einer darüber stehenden nicht unbedingt purpurfarbenen und dem gemeinen Volk meist unsichtbaren eher grauen Eminenz. Außerdem stehen sie unter dem nicht immer gerade kulturfördernden Einfluss der Werbewirtschaft und verdeckter Politik. Eine wunderbare Erfindung in dieser Hinsicht sind Ebooks, die nicht nur einer großen Zahl von Menschen, sondern sogar besagtem störrischen Raben die Möglichkeit zu publizieren geben. Doch das Problem, dass das vom Raben durchaus geliebte Volk diese nicht zur Kenntnis nehmen mag und zumindest nicht geneigt ist, seine kostbare Zeit für scheinbare Abfallprodukte dieses nach vorherrschender Meinung nur vögelnden Vogels zu verwenden, ist natürlich ein zusätzliches. Der Rabe lässt deswegen, wie gesagt, bisweilen den Kopf ganz tief hängen. Er sollte sich also um Marketing kümmern und nicht einfach weiterhin solchen fragwürdigen Kram produzieren. Doch letzteres hält er bisweilen oder sogar vorwiegend für sinnvoller. Was tun?
Gefährliches Wissen
Ist die klare Benennung, dass Entwicklung und Wachstum etwas diametral verschiedenes sind, rein akademischer Art, womit sich eben so ein abseitiger Rabe beschäftigen mag, was aber in praktischen Bereichen ziemlich uninteressant ist? Im eigenen Lebensbereich sollte eigentlich völlig klar sein, dass diese Behauptung nicht stimmt. Die Menschen hören mit etwa zwanzig Jahren zu wachsen auf, aber sie entwickeln sich weiterhin, zunächst in ihrer Lebensbewältigung, dann aber auch durch Erzeugung von Nachwuchs.
Der Rabe hat aber auch hinaus gekrächzt, dass das private und das öffentliche Leben immer Spiegelbilder zueinander seien. Wie steht es also mit demselben Sachverhalt in der großen Politik? Wie eh und je ist die öffentliche Nabelschau bei sich selbst tabuisiert, also auch in Deutschland gewiss nicht sehr erwünscht. Andererseits ist beispielsweise Thailand ein fern liegendes Land, von dem die Leute in Deutschland glauben, dass es hier keine große Bedeutung habe, obwohl sich dort derartige Dinge kristallklar beobachten lassen. Wählen wir also ein im Zwischenbereich liegendes Beispiel, die momentan im Brennpunkt der Auseinandersetzungen liegende Ukraine, wo der Rabe insgesamt drei Mal herum geflattert ist.
Den Raben interessieren ja Fremdsprachen,- zunächst einmal meist, um mit schönen Katzen zu kommunizieren, aber dann eben vor allem auch, um die fremden Welten kennenzulernen, in denen sie leben. Auf seiner ersten Reise im Jahre 1962 kam er auf die jetzt von Russland annektierte, ursprünglich von den Tartaren eroberte und dann an die Ukraine verscherbelte Krim, wo er eine schöne junge, nur russisch sprechende Katze traf, die sich als Spionin entpuppte. Es war also eine rein russische, streng überwachte Welt. In Kiew sollte er anschließend trotz seiner geringen Kenntnisse von politisch relevanten Dingen selbst als Spion unter Zuhilfenahme von genügenden Mengen von Wodka angeheuert werden. Das zweite Mal im Jahre 2005 kam er ins sehenswerte und überaus lebenslustige Odessa, wo er wieder eine schöne junge, nur russisch sprechende Katze traf, die sich dieses Mal als angehende überzeugte Kapitalistin entpuppte. Es war ebenfalls eine rein russische, jedoch völlig chaotische Welt. Der Rabe sollte trotz seiner nicht sehr vollen Geldbörse als reicher Ehemann unter Zuhilfenahme von genügenden Mengen von rotem Wein und Krimsekt, beide viel besser als Wodka schmeckend, angeheuert werden. Das dritte Mal im folgenden Jahr, wieder in Odessa, das diesmal gräulich grau war, aber überschäumend den 1.April als Tag des Spaßes feierte, versuchte das Land bereits einen Mittelweg zwischen Ordnung und Chaos anzusteuern, was jedoch durch die massive Unterdrückung der vom Raben so geliebten russischen Sprache charakterisiert war. Weder die Beziehung zu jener dann noch schöner erscheinenden Maid noch zur inzwischen noch mehr geliebten russischen Antiwelt ließen sich fortführen. Schon damals scheiterte im privaten Bereich alles, was jetzt in der großen Politik scheitert. Davon, wie die Ukrainer die russische Sprache massiv unterdrückt haben, redet jetzt kaum noch jemand.
Wenn der Rabe damals schon konstatiert hätte, dass die Situation in der Ukraine hoch labil und gefährdet ist, dann hätte nur eine Jagd auf ihn eingesetzt und nichts hätte sich ansonsten geändert. Kein Mensch hätte auf jenes aberrante Tier gehört, obwohl bekannt ist, dass Tiere Erdbeben oft schon eine Weile vor ihrem Eintreten wahrnehmen und einerseits zum Beispiel krächzen und andererseits sich aus dem an sich geliebten Gebiet fortbewegen, so wie es der Rabe jetzt auch in Thailand getan hat. Aber keiner will ja sein Gekrächze hören. Wartet mal, bis die Chinesen in Thailand die Macht übernehmen!
Doch uns liegt die Ukraine näher. Dort kann man jetzt nur zu gut sehen, wie solch ein nicht untypisches Drama weiter geht. Der Rabe spürt weiterhin ein besonderes Interesse an der zwischen den Fronten liegenden Stadt Odessa und sieht mit Entsetzen den Film "Lauffeuer", der die völlig fehlgeleitete Auseinandersetzung zeigt. Der Sprachenstreit hat sich verfestigt. Damit hat sich die Ukraine zum Beispiel von einer in allen Entwicklungszweigen wichtigen Weltsprache verabschiedet und in die Provinzialität verzogen, wie es jetzt auch das momentan noch in voller Entwicklung florirende Katalonien auf der iberischen Halbinsel immer wieder versucht. Wehe, wenn sie Erfolg haben! Dann wird alles Wachstum aufhören. Warum redet der Rabe jetzt plötzlich von Wachstum und nicht von Entwicklung? Weil Wachstum immer beschränkt ist, sich an Grenzen stößt und im wesentlichen die Angelegenheit einer einzigen Generation, also etwas ziemlich schnelllebiges ist.
Lernt also die unerwünschte Wahrheit des gar nicht missionarischen Raben, die er in seinen Ebooks geduldig wieder und wieder aufgeschrieben hat und welche langweilig oder von Sex verseucht erscheint, aber im Grunde hoch explosiv ist: Wachstum orientiert sich an Raum und Zeit und ist zwangsläufig begrenzt. Es bedarf der vielleicht gar nicht immer sinnvollen Aufrechterhaltung der Grenzen und genau steuernder Regulierungsmechanismen an ihnen. Entwicklung orientiert sich dagegen an den aufeinander folgenden Generationen, hat also ein völlig anderes Bezugssystem, und tendiert dazu, Grenzen zu überschreiten.
Aber wer will heute schon hören, dass die Grenzüberschreitungen der russischen Separatisten in der Ukraine der Beginn einer neuen und vielleicht sinnvollen Entwicklung sind? Eher wird man dem Raben den Schnabel verbinden oder ihn einsperren oder zumindest ignorieren, als anzuerkennen, dass das Sprachenproblem dort erstens in seiner Wichtigkeit gesehen, zweitens zugegeben und drittens gelöst werden muss. Darin können die Schweizer wirklich der ganzen Welt ein Vorbild sein, wie sie mit mehreren Sprachen im Land leben. Wenn dagegen aus Bayern Stimmen kommen, die allen Ernstes verlangen, Ausländer müssten in Deutschland daheim auch deutsch sprechen, dann fängt der Rabe an, mit seinem Schnabel ganz wütend loszuhacken, was für ihn selbst nicht gerade angenehm ist. Sind Angriffe auf die kulturelle Identität etwa bereits eine gefährliche Situation? Oh, verstopft Euch nur die Ohren! Vermeidet Sprachen zu lernen und die Ebooks des langweiligen und unnötig insistierenden Raben zu lesen. Wenn er dann mangels Einkünften verhungert, ist das nur gut. Dann stört er wenigstens nicht mehr mit seinem unerwünschten Gekrächze und alle können ohne schlechtes Gewissen weiterhin ihrem gewohnten Konsum nachgehen! Hoch leben Technik, Unterhaltung und Design!
Näheres dazu findet sich bei der TED-Bewegung, wird zum Beispiel auch von der wohltäterischen Frau Gates unterstützt und ist also "sicher" nichts Schlechtes. Aber man könnte "natürlich" auch die Gegenseite zur Kenntnis nehmen, welche sich in der Lieblingszeitung des Raben The Guardian finden lässt. Der Rabe pickt gerne, klickt also auch mal! Aber Ihr wollt gewiss keine englisch-sprachige Kost, und vollends Russisch oder gar Chinesisch zu lernen ist selbstverständlich viel zu schwierig und eine restlos abwegige Idee! Keine Zeit, keine Zeit,- wir haben ja schließlich etwas Anderes zu tun. Aber nur das immer begrenzte Wachstum hat etwas mit der Zeit zu tun, die alle Grenzen gern übersteigende Entwicklung dagegen mit den kommenden Generationen. Sind diese etwa nicht wichtig? Fördert endlich mehr den Grenzen übersteigenden Jugendaustausch zum Sprachenlernen in fernen Ländern, vielleicht sogar in China!
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Updated June 06, 2017
Das Tier in uns